Die Ukraine im Gezerre zwischen Ost und West

[von Eugen von Arb] Wenn der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch Russisch spricht, lächelt man in Russland über seinen Akzent. Er ist ein „Chochol“, wie die Russen ihre westlichen Nachbarn liebevoll nennen – liebevoll und meist auch spöttisch. Denn niemand nimmt die Ukrainer wirklich ernst.

So gern man in Russland die historische Wichtigkeit Kiews als Wiege der russisch-orthodoxen Kultur hervorhebt, so lächerlich findet man im Grunde genommen die unbeholfenen „Schwimmbewegungen“ der ehemaligen Sowjetrepublik in den letzten Jahren. Obschon die Ukraine formal längst unabhängig ist, betrachten sie die Russen doch weiterhin als ihren „Vorgarten“. Dementsprechend haben auch ihre Politiker den Status von „Gartenzwergen“, die man beliebig herumschieben oder austauschen kann.

Trotz der orangenen Revolution von 2004, die im Kreml als törichter Kinderstreich abgetan wird, und trotz der gescheiterten Versuche, die Ukraine mittels Sperrung der Gaszufuhr im Winter „kirre“ zu machen, weigert man sich im Kreml, die Abnabelung der Ukraine wahrzunehmen.

Leider konnte die Ukraine weder unter Wiktor Juschtschenko (2005-2010) noch unter Wiktor Janukowitsch (seit 2010) die von Tumulten durchsetzte Politik und die wirtschaftliche Instabilität überwinden. Vielmehr schien sich der Graben zwischen Moskau-orientiertem Osten und dem europafreundlichen Westen des Landes noch zu vertiefen. Es war, als würde das politische Steuer mal in die eine, mal in die andere Richtung gerissen.

Das führte in Brüssel offenbar zum Trugschluss, die Ukraine müsse wie eine reife Frucht in den EU-Schoß fallen. In völliger Verkennung der Lage glaubte man, mittels plumper Druckversuche die Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko freipressen und das Land auf Westkurs bringen zu können. Dabei vergaß man, dass die Unabhängigkeitsbestrebungen der Ukraine oft genug von ihren Nachbarn in Ost und West missbraucht worden waren und man davon in Kiew mittlerweile die Nase gestrichen voll hat.

Auch wenn der Timoschenko-Prozess noch so politisch motiviert ist, so mussten die Manipulationsversuche aus Brüssel als Einmischung in die inneren Angelegenheiten verstanden werden. Die Drohungen Brüssels, „unfolgsamen“ ukrainischen Politikern die Einreise zu verweigern, konnte ebenfalls nur zu einer Verstärkung der Trotzhaltung führen.

Längst hat die EU ihren Status als „Wirtschaftsparadies“ verloren. Seit dem „Griechenland-Gate“ zweifeln viele an der wirtschaftlichen Kompetenz ihrer Führung. Das besserwisserische und bisweilen weltfremde Auftreten Brüssels hat dem Bündnis in Zentral- und Osteuropa nicht nur Freunde gemacht – außerdem gilt es längst als verlängerter Arm der NATO. Ein Land von der Größe der Ukraine kann sich die berechtigte Frage stellen, ob man die EU als Partner braucht, oder ob es nicht eher umgekehrt ist.

Der Russisch sprechenden Bevölkerung in der Ost-Ukraine wird zudem nicht entgangen sein, dass sich EU-Kommissare wesentlich lieber mit der Freilassung Timoschenkos befassen als mit Menschenrechtsverletzungen auf dem eigenen Gebiet, so zum Beispiel in den baltischen Staaten, wo die russische Minderheit seit Jahren diskriminiert wird.

Mit einer etwas freundlicheren Tonart hätte die EU die Ukraine sehr leicht für sich gewinnen können – und zwar das ganze Land. Zum Beispiel mit einem „warmen“, bzw. preisgünstigen Angebot für Erdgas aus alternativen Quellen, um nicht mehr von Russland abhängig zu sein. Oder mit einem Darlehen, um die großen Staatsschulden gegenüber Russland zu begleichen. Aber Geld ist momentan auch im Westen rar – das sollten die Bürokraten in Brüssel nicht vergessen, bevor sie die blaugelben Fähnchen auf der Karte weiter nach Osten stecken.

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