Die Russen ärgert an Trump und Erdogan das, was sie an Putin mögen

Gaseta.ru macht sich Gedanken darüber, wie in der russischen Gesellschaft politische Figuren wie Trump und Erdogan wahrgenommen werden und was das mit der Beliebtheit von Putin zu tun hat.

Die Entschlossenheit und Unberechenbarkeit der Handlungen, die den Russen so an der Außenpolitik des Präsidenten imponiert, ruft bei ihnen geradewegs umgekehrte Gefühle hervor, wenn es um die Staatschefs anderer Länder geht. Wahrscheinlich ändern unserer Bürger ihre Meinung über Politiker einfach „wie es das Fernsehen vorgibt“, soll heißen: Sie denken nicht sonderlich darüber nach. Oder sie misstrauen der Politik, die unter anderem auch unser Land fährt, sind aber nicht bereit, das zuzugeben.

Das Rating von US-Präsident Donald Trump ist erneut katastrophal tief gesunken. Diesmal unter den Russen. Die neueste Umfrage von WZIOM gleich nach dem Raketenschlag der USA in Syrien hat gezeigt, wie schnell die Russen von ihrem politischen Liebling – denn genau so wurde Trump lange von der inländischen Propaganda dargestellt – enttäuscht waren.

Der Anteil der Befragten, die eine negative Einstellung gegenüber dem amerikanischen Präsidenten bezeugten, ist um das Fünfeinhalbfache gewachsen: von sieben auf 39 Prozent.

Weiter positiv stehen Trump nur 13 Prozent unserer Landsleute gegenüber. Vor einem Monat waren es 38 Prozent – fast dreimal so viele. Unter dem Emotionen, die der US-Staatschef bei den Russen auslöst, dominieren Misstrauen (31 Prozent), Enttäuschung (19 Prozent) sowie Gleichgültigkeit (29 Prozent). Er ruft bei den Menschen außerdem seltener Hoffnung (elf Prozent), Achtung (sechs Prozent) und Sympathie (fünf Prozent) hervor.

Ein weiterer Meister unberechenbarer politischer Entscheidungen ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. In den letzten zwei Jahren hat er es geschafft, bei uns als Hauptfeind zu gelten – nach dem Abschuss des russischen Kampfjets – und dann aber wieder fast als der beste Freund – nachdem er Wladimir Putin einen Entschuldigungsbrief geschrieben hatte.

Jetzt hat Erdoğan ein Referendum zur Verfassungsreform durchgeführt. Die Türkei verwandelt sich von einer parlamentarischen Republik in eine präsidiale, was Erdoğan die Chance gibt, bis 2029 an der Mache zu bleiben. Er will das Land selbst regieren, ohne Kontrolle und Gegengewichte, wie es in der Türkei das Parlament und – vor dem gescheiterten Putsch im letzten Jahr (den viele in der Türkei für eine Inszenierung des Präsidenten selbst halten) – die Armee waren.

Den Russen ist der Wunsch des Präsidenten verständlich, faktisch der alleinige Heer des Landes zu sein – die Demokratie mit ihren verzweigten und nicht vollständig von konkreten Personen abhängenden Institutionen und mit ihrem komplizierten System der Koordinierung von Entscheidungen scheint vielen unseren Bürgern zutiefst fremd zu sein. Umso mehr, weil sie praktisch jeden Tag in den Nachrichten und in Teleshows schlechtgemacht wird.

Es gibt bestimmte Ähnlichkeiten in der politischen Handschrift von Erdoğan und Trump. Sie verbindet die Neigung zu entschlossenen unberechenbaren Handlungen, die Politiker in die Bredouille bringt, die berechenbar handeln und deshalb als „Schwächlinge“ gelten. In der Logik der russischen Propaganda war Barack Obama so einer. Und ganz sicher stehen in der russischen Propaganda praktisch alle europäischen Staatschefs, die wir ständig beschuldigen, „Marionetten der USA“ zu sein, als solche da.

Dabei stellt sich heraus: Alles, was uns so sehr an der russischen Politik gefällt, geht uns in den Handlungen der Spitzenpolitiker anderer Länder heillos auf die Nerven.

Und der berechenbare „Schwächling“ Obama erweist sich (im Nachhinein) als verständlicherer und komfortablerer Partner als der „Geschäftsmann und Kerl“ Trump.

Wenn unsere Politiker Stärke und Unberechenbarkeit demonstrieren und von der UN-Tribüne herab britische Diplomaten grob anfahren, inspiriert das das Volk. Vielleicht aus Mangel an anderen Inspirationsquellen: Die Wirtschaft, der Lebensstandard sowie die technischen und technologischen Errungenschaften Russlands liefern in den letzten Jahren bestimmt keinen Anlass zum Stolzsein. Aber wenn andere Weltpolitiker ohne Regeln spielen, empört das unsere Leute und macht ihnen sogar Angst.

Angst und Sorge sind hier durchaus gerechtfertigt. Wenn es in der mit todbringenden Waffen vollgepackten Welt immer mehr unberechenbare Staatschefs gibt, kann das sicher kein Vertrauen einflößen.

Die Gespräche über einen Dritten Weltkrieg hören auf, als Horrormärchen von Politologen wahrgenommen zu werden; sie nehmen die Form einer reellen Bedrohung an. Nicht umsonst halten immer mehr Russen einen Krieg mit den USA für immer wahrscheinlicher. Und das selbst bei der Tatsache, dass wir gegen Amerika niemals auf dem Schlachtfeld gekämpft haben: Bisher beschränkte sich das nur auf den „Kalten Krieg“ und Jahrzehnte diplomatischer Konfrontation.

Dessen ungeachtet fährt Russland fort, auf schlecht berechenbare Partner zu setzen. Zum Beispiel unterstützt es direkt Marine Le Pen in Frankreich. Wie es aussieht, wollen dabei viele in Russland aufrichtig, dass Angela Merkel, das beste Beispiel für politische Berechenbarkeit und Verantwortungsbewusstsein in der modernen Weltpolitik, die nächsten Wahlen in Deutschland verliert. Obwohl gar nicht mal gesagt ist, dass ebendiese Le Pen, sollte sie die Wahlen gewinnen (Chancen dazu hat sie), sich nicht von Russland abwendet. Auch in Frankreich gibt es antirussische Stimmungen, und das eigene Rating mit der Schaffung eines Feindbildes anzuheben, wenn es keine konstruktiven Mittel gibt – das ist eine bewährte Variante.

Dabei fühlen selbst die Russen, denen die „Schroffheit“ unserer Außenpolitik gefällt, instinktiv, dass eine direkte Konfrontation mit den USA für Russland sehr viel traurigere Folgen haben würde, als der Donbass und Syrien zusammen.

Trump und Erdoğan nehmen Russland das bei unserem Volk so beliebte Monopol auf Unberechenbarkeit weg. Es ist eine Sache, auf dem Sofa sitzend im Fernsehen zu hören, wie wir verwegen am Ende der Welt „die Geschicke lenken“; etwas ganz anderes ist es zu sehen, wie Trump „unserem Freund Assad“ einen Schlag versetzt und „unser Freund Erdoğan“ diesen Schlag sofort öffentlich unterstützt.

Dabei macht es Sinn, sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen, warum die Russen so leicht und schnell ihre Einstellung gegenüber ausländischen Politikern ändern.

Möglicherweise liegt das an der alten Gewohnheit, den Vorgesetzten immer zu vertrauen oder zumindest so zu tun, damit sie dich in Ruhe lassen. Wenn der Fernseher ständig sagt: „Trump ist einer von uns“, „Trump hebt die Sanktionen auf“, dann glaubt das Volk das. Wenn er sagt, dass Trump ein Schlechter ist, heißt das, dass es eben so ist. Aber wo ist in solch einem Fall die Garantie, dass sich bei den Russen auch die Einstellung gegenüber russischen Politikern nicht in Windeseile ändern könnte? Und dass diese Einstellung überhaupt aufrichtig ist?

COMMENTS