Deutsche Elektronik und Elektrotechnik verliert Marktanteile in Russland

Von Ullrich Umann Moskau (gtai) – Die Importabhängigkeit Russlands bei elektronischen und elektrotechnischen Erzeugnissen soll bis 2020 reduziert werden. Deshalb ist geplant, die Produktion im Inland auszuweiten. Das Ministerium für Industrie und Handel veröffentlichte im März 2015 eine Liste mit 534 Warenpositionen, für die eine hohe Dringlichkeit zur Einfuhrablösung besteht. Deutsche Exportbetriebe werden weitere Marktanteile verlieren. Als Ausweg bleibt die Einrichtung einer Produktionsniederlassung.

In der Importsubstitutionsliste des Industrieministeriums (Erlass Nr. 662 vom 31. März 2015) finden sich unter anderem Halbleitertechnik, IT-Hardware, Telekommunikations-Hardware, integrierte Schaltkreise, Lichtleitertechnik, Lasertechnik, elektrische Medizintechnik und RFIDTechnik. Inländische Hersteller dieser Erzeugnisse erhalten Zuschüsse zur Entwicklung und Serienfertigung neuer Produkte sowie Vorzugskonditionen bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand und staatlich dominierter Unternehmen. Mit anderen Worten: Wer vor Ort erfolgreich produziert, erhält Marktanteile zugesichert.

Staat gewährt Zuschüsse für den Aufbau neuer Produktionskapazitäten

Der russische Hersteller von Computerhardware und Videotechnik Kraftway am Standort Obninsk (Gebiet Kaluga) erhält 500 Mio. Rubel (7,18 Mio. Euro, 1 Euro = 69,6762 Rubel, Stand: 12.8.2015) aus dem Fonds für Industrieentwicklung. Mit diesem Geld soll eine neue Produktionslinie für Personalcomputer (PC) und Telekommunikationsausrüstungen entstehen. Kraftway kooperiert bei der Produktentwicklung auch mit ausländischen Branchenunternehmen.

Der russische Hersteller brachte im Frühjahr 2015 mit Unterstützung von Panasonic ein Toughbook heraus, das in rauen Umgebungen einsetzbar ist. Kraftway plant, seine Marktanteile beim Absatz von mobilen und stationären PC nahezu aus dem Stand heraus bis 2019 auf 10% zu steigern, bei Servern auf 7% und bei Telekommunikationsausrüstungen auf 5%.

Eurasische Anbieter erhalten Vorzugsbedingungen

Deutsche Hersteller, die bislang elektronische und elektrotechnische Erzeugnisse nach Russland exportiert haben, werden es künftig noch schwieriger haben, an Lieferaufträge zu gelangen. Aus der staatlich dominierten Wirtschaft werden Aufträge nur noch in Ausnahmefällen kommen. Dafür sorgt eine Direktive des Ministeriums für Industrie und Handel, wonach bei staatlichen Ausschreibungen – wozu auch Beschaffungsmaßnahmen staatlich dominierter Unternehmen zählen – Bieter aus den Mitgliedsländern der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) stets vorrangig den Zuschlag zu erhalten haben.

Sind Importe aus Drittländern dennoch unumgänglich (wovon kurz- bis mittelfristig mangels industrieller Basis in der EAWU auszugehen ist), erhalten bevorzugt Anbieter aus Staaten den Zuschlag, die sich den aktuell geltenden westlichen Sanktionen nicht angeschlossen haben. Hierzu zählen in erster Linie asiatische Länder, darunter die VR China, Singapur, Hongkong, Malaysia und Korea (Rep.). Deutsche Erzeugnisse werden im Umkehrschluss nur noch dann geordert, wenn sie Alleinstellungsmerkmale vorweisen. Für die Vertragsgestaltung mit Abnehmern aus der russischen Privatwirtschaft bestehen dagegen keine Einschränkungen.

Deutsche Exporte seit 2013 rückläufig

Deutsche Exporteure elektronischer und elektrotechnischer Erzeugnisse leiden seit 2013 unter wegbrechenden Umsätzen auf dem russischen Markt. Hauptgrund für den Rückgang des Geschäftes sind die – aufgrund ungewisser Wachstumsaussichten – sinkenden Investitionen der russischen Kunden. Mit der Politik der Importsubstitution und der Umorientierung auf asiatische Lieferanten kommen industrie- und geopolitische Barrieren hinzu.

Der Branchenverband ZVEI gab bekannt, dass die deutsche Elektrotechnikbranche 2013 einen Rückgang der Lieferungen nach Russland um 6,5% gegenüber dem Vorjahr zu verkraften hatte. Im Jahr 2014 brachen die deutschen Ausfuhren um 22,4% ein. Und die negative Dynamik wird aktuell sogar noch stärker. Dies lässt das Monatsergebnis vom Mai 2015 vermuten: Demnach erreichten die deutschen Lieferungen nur einen Wert von 223 Mio. Euro. Das bedeutete einen Einbruch im Vergleich zum Mai 2014 um 39,7%!

Deutsche Anbieter dürften damit Marktanteile an asiatische Wettbewerber verlieren. Dies ist umso bedauerlicher, da der russische Elektromarkt selbst in Rezessionszeiten immer noch einen beachtlichen Umfang aufweist. Laut ZVEI hatte der Markt 2013 ein Volumen von 72,3 Mrd. Euro. Und ist 2014 um 4% gewachsen. Für 2015 geht der ZVEI zwar von einem Rückgang um 1% aus. Doch 2016 soll sich wieder Wachstum einstellen – etwa 3%.

Produktionsniederlassung bietet Ausweg

Um von diesem Wachstum besser partizipieren zu können, bleibt deutschen Firmen der Weg, eine Produktion beziehungsweise Montage vor Ort einzurichten. Auf diese Weise würden sie bei staatlichen Beschaffungsmaßnahmen als juristische Person nach russischem Recht antreten. Die russische Tochterfirma könnte auch von Fördermaßnahmen des Ministeriums für Industrie und Handel profitieren. Die Regionalverwaltungen, in deren Einzugsbereich sich die Produktionsniederlassung befindet, bieten ausländischen Investoren in der Regel zusätzliche Förderungen an.

Staatliche Vergünstigungen und die Zulassung zu öffentlichen Ausschreibungen erhalten ausländische Firmen per Investitionsfördervertrag zugesichert, den sie mit dem Ministerium für Industrie und Handel abschließen. Es verdichten sich aktuell Informationen aus dem Ministerium, dass mit jedem potenziellen Investor individuell verhandelt wird. Somit können die Fördermaßnahmen auf Verhandlungsbasis durchaus unterschiedlich ausfallen.

Im Gegenzug muss sich der Investor zur Einhaltung des zeitlichen Projektplans einschließlich der vereinbarten Lokalisierungsstufen verpflichten. Dem Ministerium kommt es dabei auf einen höchstmöglichen Grad des Technologietransfers an. Denn Ziel ist es, die industrielle Basis in Russland schnellstmöglich zu diversifizieren. Aus gleichem Grund werden neue Kapazitäten zur Forschung und Produktentwicklung in besonderem Maße begrüßt.

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