Der Westen verteufelt Putin, die Bürger stehen hinter ihm

[von Prof. Alexander Rahr] Wladimir Putin wird vom Westen diskreditiert wie kein Kremlherrscher zuvor.
Die Vorwürfe prallen aber ab, denn die Mehrheit der Russen befürwortet Putin.
Der Westen sollte nun die veränderte polyzentrische Weltordnung akzeptieren.

Noch niemals wurde ein Kremlherrscher, auch nicht im Kalten Krieg, im Westen so dämonisiert wie Wladimir Putin. Ein Vorwurf: Putin verändert die Weltordnung gewaltsam zu seinen Gunsten und bricht allgemeingültige internationale Spielregeln. Tatsächlich weicht die vom Westen geschaffene unipolare Weltordnung einer polyzentrischen, in welcher der Westen objektiv schwächelt. Putin dagegen hat sich eine neue Einflusszone zugelegt, die NATO-Osterweiterung gestoppt und den Westen aus dem Nahen und Mittleren Osten herausgedrängt. Geopolitisch hat Russland seine Niederlage im Kalten Krieg wieder wettgemacht.

Ein weiterer Vorwurf: Putin ist ein Diktator und tritt die Demokratie mit Füßen. Tatsächlich ist er ein Widersacher des politischen und moralischen Universalanspruchs der liberalen Welt. Doch die Meinung im Westen ist Putin egal, denn seit zwei Jahrzehnten steht seine Bevölkerung fest hinter ihm. Seine „gelenkte Demokratie“ wird breit akzeptiert, solange es den Russen wirtschaftlich besser geht. Putins Politik der harten Hand stößt aber auch außerhalb Russlands auf Sympathien. Putin ist bei den europäischen Rechtspopulisten höchst angesehen, weil er mit der Idee eines nationalstaatlichen und nichttransatlantischen Europas ein Konkurrenzmodell zur EU schafft.

Keine Wiederauflage des Ost-West-Konfliktes

Der Westen bekämpft Putin, indem er die Vorschläge und Argumente aus dem Kreml als Propaganda deskreditiert. Putins Antwort: Anders als unter Gorbatschow und Jelzin wird es dem Westen nicht gelingen, Russland sein Denken aufzudrücken. Das Verhältnis Russland – Westen scheint irreparabel zu sein.

Doch einen neuen Ost-West-Konflikt wird es nicht geben, die Welt rast seit dem 11. September 2001 auf einen viel bedrohlicheren Nord-Süd-Konflikt zu. Je rasanter sich die Welt zur Multipolarität verändert, umso zügiger wird sich der Westen von seiner werteorientierten Politik verabschieden und zu einer Realpolitik zurückkehren, die mit Staaten wie Russland und China den pragmatischen Interessensausgleich sucht. Werteunterschiede hin oder her. Wieder ein Pluspunkt für Putin?

Die Mittelschicht besitzt kaum Einfluss

Kann ein Regimewechsel wie in der Ukraine Putin zu Fall bringen? Nein. Es ist richtig, dass Teile des jungen Mittelstands gegen Putins Innenpolitik opponieren. Sie haben den Wohlstand, den sie vor zehn Jahren auf dem Höchststand des Ölpreises genossen haben, verloren und nebenbei auch die Perspektive auf ein erfüllteres Leben. Die jüngsten Proteste in fast 100 russischen Städten gegen die ausufernde Korruption sprechen eine deutliche Sprache. Doch erstens ist die Mittelschicht in diesem Riesenreich verschwindend klein und eine wirkliche Alternative zu Putin nicht in Sicht. Außerdem bekämpft er die Korruption tatsächlich: Die Verteidigungs- und Eisenbahnminister wurden geschasst, der Wirtschaftsminister verhaftet.

Putin weiß, dass die Bevölkerung die katastrophalen Folgen einer Revolution wie 1917 oder 1991 nicht mehr ertragen will. Putin wird bis 2024 regieren und dann einen jüngeren Nachfolger präsentieren.

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