Der Westen macht Russland Hoffnung auf Aufhebung der Sanktionen

Fast versöhnliche Töne zum Jolka-Fest aus Brüssel gen Russland: Der EU Botschafter in Moskau, Vygaudas Ušackas, erklärte am Mittwoch in einem Interview für den russischen TV-Sender „Doschd“, dass die Europäische Union ebenso wie Russland an einer schnellstmöglichen Aufhebung der gegenseitigen Sanktionen interessiert sei. „Russland und die EU als wichtige Wirtschaftspartner  sollten nach einer Normalisierung der Beziehungen streben“, so der Litauer und fügte hinzu: „Im gesamten Spektrum unserer Beziehungen haben wir mehr gemeinsame als gegensätzliche Interessen.“

Der Leiter der Moskauer EU-Vertretung stellte fest, dass die Handelsbeziehungen zwischen Russland und der EU nach wie vor „äußerst wichtig“ sind, denn fünf Prozent der Investitionen in die russische Wirtschaft kommen aus den Ländern der Europäischen Gemeinschaft.

Hinsichtlich der Lieferungen von russischem Gas und Erdöl zeigten sich Russland und die EU als faire Partner, betonte Ušackas. Die auf Diversifizierung angelegte europäische Energiepolitik richte sich nicht gegen Russland und Gazprom, sondern nach den Bedürfnissen der Nutzer, beschwichtigte er. Nach dem derzeitigen Stand enden die antirussischen Sanktionen des Westens am 1. Juli kommenden Jahres, das Lebensmittelembargo Russlands am 6. August 2016.

Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die Äußerungen des EU-Offiziellen nur rhetorisches Lametta am Weihnachtsbaum im Kreml waren, das nach den Feiertagen wieder im Karton mit den leeren Worthülsen verschwindet. Denn spätestens seit seinem Mitte Dezember geäußerten Vorschlag, Russland möge sich der Ukraine gegenüber als „Freund“ zeigen und 20 Prozent der Schulden erlassen, freilich ohne Gegenleistung, hat die Glaubwürdigkeit des EU-Diplomaten bei seinen russischen Partnern deutlich gelitten.

Dabei könnte Russland gerade jetzt positive Zeichen brauchen, denn innen wie außen gibt es zahlreiche Baustellen. Die massive Wirtschaftskrise im Land, die durch die Sanktionen verschärft wird, wird sich voraussichtlich auch durch das kommende Jahr ziehen, auch wenn der Stellvertretende Finanzminister Alexej Moisejew dieser Tage verkündete, dass Ende dieses Jahres oder Anfang des nächsten ein positives Wirtschaftswachstum zu erwarten sei und sich der Rubel bis zum Sommer stabilisiere. Dem widersprach Alexej Kudrin, selbst einmal Kassenwart Russlands, der meint, dass die Talsohle der Krise noch nicht durchschritten sei. „Sollte der Preisverfall bei Erdöl anhalten, wird auch2016 die Wirtschaftsleistung in der Russischen Föderation weiter zurückgehen“, befürchtet der derzeitige Leiter des Komitees für Bürgerinitiativen.

Weißrussland macht sein eigenes Ding

Im Außenhandel wird die ohnehin schon schwierige Situation infolge der Sanktionen und Gegensanktionen durch die Aufhebung der Freihandelszone mit der Ukraine, die gestern auch durch die ukrainische Regierung bestätigt und zahlreichen Einfuhrverbote aus Russland konkretisiert wurde, nicht gerade einfacher. Auch wenn die Befürchtungen Russlands, ohne Zollschranken via Kiew mit billigen europäischen Waren überschwemmt zu werden, nicht von der Hand zu weisen sind. Doch jetzt könnte Ungemach von unerwarteter Seite drohen. Denn Weißrussland wird, wie Präsident Lukaschenko nach der Sitzung einer hochrangigen weißrussisch-ukrainischen Arbeitsgruppe mitteilte, die Entwicklung erst einmal ein Quartal lang beobachten und dann reagieren oder eben auch nicht. „Natürlich berücksichtigen wir die Situation des mit uns verbündeten Russlands und werden zu gegebener Zeit prüfen, wie wir dessen Position unterstützen können.“ Lukaschenko wird aber wohl alles unterlassen, was den Westen verärgern könnte. Denn dass die USA und die EU im Zusammenhang mit der Vermittlerrolle Weißrusslands beim Zustandekommen der Minsker Vereinbarungen erste Sanktionen gelockert hat, feiert Lukaschenko als einen Erfolg seiner auf größere Unabhängigkeit von Russland gerichteten Politik und er will diese Entwicklung auf keinen Fall gefährden. Dazu gehört offenbar auch, dass  Weißrussland eigene, aus Russland bezogene Waffen in die Ukraine liefert, wo sie bei den Kämpfen in der Ostukraine eingesetzt werden.

Sorgenkind Krim

Und auch auf der Halbinsel im Schwarzen Meer ist die Situation alles andere als ruhig – wirtschaftlich wie politisch. Die Lebensmittelblockade durch die Ukraine und die wiederholte Unterbrechung der Stromversorgung machen das Leben auf der Krim nicht leichter. Erst am Mittwoch blieben die Krim-Bewohner größtenteils erneut ohne Elektrizität, weil die einzige nach den Anschlägen von Ende November funktionstüchtige Überlandleitung wegen einer, wie es aus Kiew hieß, Havarie abgeschaltet wurde. Die neue Trasse aus Russland kann gegenwärtig den Bedarf der Halbinsel noch nicht decken. Spannung gibt es dagegen in der Verwaltung der Autonomen Republik Krim. Der Präsident der Gesetzgebenden Versammlung, Alexej Tschaly, reichte seinen Rücktritt ein.

Seinen Abgang erklärte der ehemalige Bürgermeister von Sewastopol damit, dass die Programme und Versprechungen, die den Einwohnern gleich nach dem Anschluss der Krim an Russland gemacht wurden, nicht eingehalten wurden und nicht einzuhalten sind. In diesem Zusammenhang sprach er von Vergeudung von Haushaltsmitteln und Korruption. Aber seine Gegner, die alles so lassen möchten, wie es ist, sind zurzeit noch stärker. In Moskau fragt man sich, wann die Krim beginnt, nach gesamtrussischen Regeln zu leben.
(Hartmut Hübner/russland.ru)

COMMENTS