Der junge Maxim Gorki – Romantiker und Revolutionär

Literaturessay von Hanns-Martin Wietek (weitere Literaturessays finden Sie hier)

Maxim Gorki (weiter Schreibweisen des Namens: Maksim Gork’ij oder Gorkij), geboren am 16. März jul (nach dem alten vorrevolutionären Kalender) bzw. 28 März greg (nach dem heute gültigen Kalender) 1868 in Nischni-Nowgorod und gestorben am 18. Juni 1936.
Sein eigentlicher Name, auf den er getauft wurde, lautet Alexej Maximowitsch Peschkow. Das Pseudonym nahm er erst an, als seine erste Erzählung »Makar Tschudra« veröffentlicht werden sollte; mit dem Namen „Maxim“ wollte er an seinen früh verstorbenen Bruder erinnern, und russisch „gorki“ heißt „der Bittere“, der Spitzname, den sein Vater wegen seiner spitzen Zunge gehabt hatte.

Maxim Gorki ist DAS Beispiel schlechthin für die in Russland traditionell enge Verquickung von Politik und Literatur. Er war ein Revolutionär, der spätestens als er sich in den Dienst des Sowjetstaates stellte – aber dennoch wider Willen – zum Politiker wurde, was jedoch die logische Konsequenz seiner Auffassung von den Aufgaben eines Schriftstellers war: Ein Schriftsteller war nach seiner Meinung berufen, mit seinen Werken das Volk zu leiten –  ja zu erziehen, was allerdings häufig mit erhobenem Zeigefinger und Ermüdungserscheinungen beim Leser einhergeht.

In der ersten Phase seines Schaffens bis zum Juni 1918, als er an seine Ex-Frau Katharina Peschkowa den unheilvollen Satz schrieb „Ich schicke mich an, mit den Bolschewiken auf autonomer Basis zu arbeiten. Ich habe genug von der ohnmächtigen und akademischen Opposition, die ich in »Neues Leben« [von ihm herausgegebene Zeitschrift] praktiziert hatte“, bis zu diesem Zeitpunkt war er der romantischste Romantiker mit begnadeten Landschaftsbeschreibungen – ich möchte schon sagen: Gemälden – und Charakteren, ein Humanist und Sucher nach dem Sinn des Lebens, ein Gottsucher und später ein gnadenlos humanistischer Revolutionär, der selbst die Revolutionäre (und auch Lenin) ob ihrer Unmenschlich- und Grausamkeiten scharf angriff und verurteilte.

Wenn man die widersprüchlich wirkende Person Gorki und damit zwangsläufig auch sein von schönster Romantik bis schal wirkender Lehrhaftigkeit wirkendes Schaffen verstehen will, muss man seine Werke im Zusammenhang mit seiner Biografie sehen:
Sein Vater war Tapezierer und starb bald nach Gorkis Geburt, seine Mutter heiratete ein zweites Mal. Seinen Stiefvater hat er gehasst und sogar versucht ihn zu töten, weil der seine Mutter schlug; dennoch hat er ihn, den Schwerkranken, als er ihn später zufällig wiedertraf, in den Tod begleitet. Gorki wuchs bei seinem Großvater, einem patriarchalischen Despoten, einem Färbermeister, auf. Gorki war Laufbursche in einem Schuhgeschäft, Lehrling bei einem Zeichner, bald darauf in der Werkstatt eines Heiligenbildmalers, dann wurde er Küchenjunge auf einem Wolgadampfer; er war Statist in einem Theater, Arbeiter in einer Brezelfabrik, Gärtner, Chorsänger, Hilfsgeselle in einer Bäckerei, Arbeiter bei der Eisenbahn und Bierausträger.

Seine ersten Lebensjahre bis zum Alter von 11 Jahren (1879), die von Grausamkeiten seines Großvaters geprägt waren, beschreibt er in dem ersten Teil seiner Autobiografie »Meine Kindheit« (1912 geschrieben); seine Großmutter hingegen ist wohl die gütigste Person, die er in seinem Leben kennengelernt hat. Sie ist es auch, die durch das Erzählen von Märchen, seine Liebe zur Literatur weckt.

Die folgenden fünf Jahre seines Lebens (bis 1884) beschreibt er im zweiten Teil »Unter fremden Menschen«. Es ist die Zeit seiner brutalen „Lehrlingsjahre“ (geschrieben 1913 – wie der erste Teil in der Emigration auf Capri). Für sein weiteres Leben wichtig ist hier sicher der Schiffskoch Smuryi auf einem Wolgadampfer, dem er aus einem Sammelsurium zufällig erworbener Bücher regelmäßig vorlesen muss. Hier wurde seine Lust am Lesen geweckt.

Während diese ersten beiden Teile seiner Autobiografie zwar teilweise über schlimme Ereignisse berichtend doch von einer gewissen aufgeschlossenen, hoffnungsvollen Grundstimmung sind, ist der dritte Teil, der die Zeit bis 1888 umfasst, düster, niederdrückend. Geschrieben hat er diesen Teil allerdings auch erst 1922 „auf Kur“ im Schwarzwald, also nach der Revolution und einem Zerwürfnis mit Lenin. In »Meine Universitäten« schreibt er über seine ersten Kontakte mit Studenten und revolutionären Zirkeln, die ihn nicht als Ihresgleichen anerkennen, und den missglückten Aufruhr der Kasaner Studenten Anfang 1887 – den auch der 17jährige Lenin mitgemacht hat, wofür er in die Verbannung verschickt wurde. Dieser Teil endet mit Gorkis Selbstmordversuch, er schoss sich mit einem Revolver eine Kugel in die Brust, verfehlte jedoch das Herz und traf „nur“ die Lunge. Die Folgen hatte er bis an sein Lebensende zu tragen.

Danach war er Lastträger in Odessa, Schreiber in Nishni-Nowgorod, Bäckergeselle in Kazan und Eisenbahnarbeiter in Tiflis. In Tiflis veröffentlichte er dann auch 1892 seine erste Erzählung »Makar Tschudra« in einer Zeitung; die Erzählung hatte ein Freund von ihm eingereicht, er selbst hatte nicht zu hoffen gewagt, dass man sie annehmen könnte. In seiner Kurzautobiografie, erschienen in »Schriftsteller, Autobiografien und Porträts zeitgenössischer russischer Prosaisten unter der Redaktion von Vl. Lidin, Moskva 1926«, schreibt er darüber:

„Im Oktober 1892 lebte ich in Tiflis, wo in der Zeitung »Kaukasus« meine erste Erzählung »Makar Čudra« gedruckt wurde. Man lobte mich sehr dafür, und als ich nach Nižnij zurückgekehrt war, versuchte ich, kleine Erzählungen für die Zeitung »Der Wolgabote« zu schreiben. Man nahm sie gerne an und druckte sie. Ich schickte die Skizze »Jemeljan Piljaj« an »Die russischen Nachrichten« – man nahm sie ebenfalls an und veröffentlichte sie. Hier muss ich aber doch bemerken, dass die Leichtigkeit, mit der die Provinzzeitungen die Werke eines „Anfängers“ veröffentlichen, wirklich erstaunlich ist, und ich nehme an, dass sie entweder die große Güte der Redakteure bezeugt oder ein völliges Fehlen literarischen Geschmacks.“

Ich hingegen finde, dass »Makar Tschudra« mit zu seinen schönsten Erzählungen gehört. Als er diesen seinen Kommentar schrieb, war die Welt schon dunkel, schicksalsschwanger; er litt unter der Emigration und näherte sich geistig immer mehr dem Sowjetstaat an; Lenin war gestorben.

Seine berühmt gewordenen Erzählungen – wie Tschelkasch (1895), Das Lied vom Falken (1895, dt. 1901), Die alte Isergil (1895, dt. 1901), Sturmvogel (1895), um nur einige zu nennen – wurden zuerst in Zeitungen und Zeitschriften gedruckt. Er arbeitete als Redakteur für verschiedene Zeitungen und brachte 1898 zum ersten Mal eine Sammlung seiner Erzählungen in zwei Bänden heraus, wurde zum ersten Mal verhaftet, wieder freigelassen und unter Polizeiaufsicht gestellt. 1899 erschien sein erster Roman »Foma Gordejew«; er traf mit Anton Tschechow zusammen, ein Jahr später mit Lew Tolstoi, der nach Dostojewskijs (1881) und Turgenjews (1883) Tod der unumstrittene Meister war. Tolstoi unterstützte ihn – auch mit Kritik –, ein freundschaftliches Verhältnis wurde es jedoch nie. 1901 wurde Gorki erneut verhaftet und verbannt. In seiner Verbannung auf der Krim erhielt er die Nachricht, dass die Akademie der Wissenschaften ihn als Ehrenmitglied im Bereich schöne Literatur gewählt hatte. Nachdem Zar Nikolaus II. das im »Staatsanzeiger« vom 1. März 1902 gelesen hatte, schrieb er an den Rand: „Sehr originell“. Die Akademie erhielt den Befehl, diese ungehörige Wahl rückgängig zu machen, was natürlich auch geschah.

Seine Theaterstücke wurden aufgeführt. »Nachtasyl«, das eigentlich »Unten in der Tiefe heißt«, wurde 1902 auf dem Künstlertheater in Moskau und 1903 bei Max Reinhardt in Berlin ein großer Erfolg. Es ist das mit Abstand erfolgreichste Werk seines dramatischen Schaffens.
Gorki war in wenigen Jahren berühmt und vermögend geworden.

1905 lernte er Lenin in St. Petersburg kennen, von dem er – nach zögerndem Kennenlernen – schließlich 1907 bekennt, dass er von ihm gefesselt sei; das blieb trotz teilweise schwerer Differenzen bis zu seinem Tod.

Als er wegen der Beteiligung an der Revolutionsarbeit der bolschewistischen Partei 1906 Russland verlassen musste, reiste er zuerst durch Europa und die USA, kaufte sich schließlich auf Capri ein Haus und lebte dort von 1907—1913.

Die Reise nach Frankreich und in die USA sollte dauerhafte, schwer wiegende Folgen haben: Frankreich hatte dem russischen Zaren, nachdem Russland durch den russisch-japanischen Krieg fast ruiniert war, einen Kredit bewilligt. Gorki verurteilte dies in seiner bekannt schonungslosen Manier und veröffentlichte eine Schmähschrift in französischen Zeitungen, was wiederum in Frankreich heftige Gegenreaktionen hervorrief. In Amerika wurde er jubelnd empfangen, obwohl die Regierung ihm zuerst die Einreise verweigern wollte. Als jedoch durch die Presse publik wurde, dass die mitreisende Maria Andrejewa nicht seine Ehefrau sondern seine Geliebte war, schlug die Stimmung im puritanischen Amerika um und man ignorierte ihn. Hassvolle Kommentare über den amerikanischen Kapitalismus waren seine Antwort.

Noch während seiner Zeit in Amerika wurde sein großer Roman »Die Mutter« (1906) in einer Zeitschrift erstveröffentlich und danach in New York und London in Buchform herausgegeben; nur in Berlin erschien er jedoch vollständig in russischer Sprache. Gorkis »Die Mutter« ist eigentlich ein religiöser Roman, ein Roman über die Suche nach Gott, oder besser: die Suche nach einem neuen Gott, die Erschaffung eines neuen Gottes (Gotterbauer). Bei uns wird Gorkis Roman meist von Brechts »Die Mutter – Leben der Revolutionärin Pelagea Wlassowa aus Twer« (1931) überlagert. Brechts Drama konterkariert eigentlich fast den Gorkiischen Roman, indem Brecht jeden religiösen Bezug entfernt, es zu einem rein sozialistischen Drama macht.
In »Die Beichte« (1908) führt Gorki die Idee des „Gotterbauertums“ weiter aus. Diese religiösen Gedanken führten 1908 zu einem ersten Zerwürfnis mit Lenin.

Noch auf Capri begann in Gorkis Schaffen eine bedeutsame Veränderung, die sicher auch durch seine psychische Situation, dem Fernsein von seiner Heimat, der Sehnsucht nach ihr, mit bedingt war. Er wendete sich mehr dem nationalen Thema zu, dem Leben in der russischen Provinz. Sein Roman »Das Leben des Matvej Koshemjakin« (1910-1911, dt. 1927) entstand und gleichzeitig nahm er mit 29 Erzählungen und Skizzen das Genre wieder auf, mit dem er in seiner Frühzeit zu Recht die größten Erfolge gehabt hatte – sie wurden 1923 in der Gesamtausgabe unter dem Titel »Wanderungen durch Russland« herausgegeben.
1913 feierte das Zarenhaus sein 300-jähriges Bestehen mit einer Massenamnestie, die es Gorki ermöglichte, nach Russland heimzukehren.

Hier eine kleine bibliografische Auswahl.
Seine Erzählungen sind unter unterschiedlichen Titeln zusammengefasst, wie »Makar Tschudra«, »Die Geschichte mit dem Silberschloss«, »Erzählungen«, und andere.
Die frühen Erzählungen sind zu finden z.B. in »Jahrmarkt in Goltwa«.
Zu Gorkis Schaffen und Verständnis ist empfehlenswert – auch weil übersichtlich: »Maksim Gork’ij, Das literarische Werk« von Armin Knigge.
Als Kurzbiografie ist zu empfehlen: »Gorki, Sturmvogel der Revolution« von Henri Troyat.
Eine Kurzbiografie aus sowjetischer Sicht: »Maxim Gorki« von A. Roskin (1944).
Weiter »Maxim Gorki« in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, von Nina Gourfinkel,
Im Aufbau-Verlag ist in den 40er, 50er und 60er Jahren eine Gesamtausgabe von Gorkis Werken erschienen.

Ganz hervorragend – nicht nur weil auf dem neuesten Stand – ist die Homepage von Prof. Armin Knigge.

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