Das große Abhören möge beginnen!

[Von Lothar Deeg] – Wladimir Putin hat ein höchst umstrittenes „Antiterror“-Gesetz unterzeichnet: Es verpflichtet alle Provider und Mobilnetzbetreiber in Russland, alle Gespräche, E-Mails, SMS und Datentransfers für ein halbes Jahr aufzuzeichnen. Ja, richtig gelesen: alle!

Das vor der Sommerpause (und den im September anstehenden Neuwahlen) in der Staats-Duma neben vielen anderen Gesetzen durchgepeitschte Jarowa-Paket – benannt nach der als Hardlinerin bekannten Abgeordneten Irina Jarowa – wird der russischen Kommunikationsbranche noch gewaltige Kopfschmerzen und Kosten bereiten: Auf 2,2 Trillionen Rubel – das sind 31 Milliarden Euro – bezifferten Vertreter der russischen Wirtschaft die Kosten für die zur Umsetzung der Gesetzesforderungen bis 2018 notwendigen Investitionen.

Mobilfunk und Internet vor drastischer Verteuerung

Die Zeiten der günstigen Internet- und Mobilfunktarife in Russland könnten damit vorbei sein: Der Pressesprecher von Megafon warnte vor einer Verfünffachung der Tarife, sollte das Gesetz wie beschlossen in Kraft treten. Doch genau das ist jetzt erst einmal geschehen: Wladimir Putin hat nach einigen Tagen Bedenkzeit das Jarowa-Paket am Donnerstag abgezeichnet. Putin schickte allerdings einige Aufträge an die Regierung hinterher, die die ökonomischen Folgen dämpfen sollen. Ob dies allerdings möglich sein wird, ohne das Gesetz selbst noch einmal zu ändern, ist noch offen.

NSA-Whistleblower und Russland-Flüchtling Edward Snowden twitterte, Putin habe ein repressives Gesetz unterzeichnet, das nicht nur gegen die Menschenrechte verstößt, sondern auch gegen den gesunden Menschenverstand. Er sprach von einer „Sondersteuer auf das Internet über 33 Mrd. Dollar“ und einem „schwarzen Tag für Russland“. Und ja, er habe jetzt Angst – schließlich hat er sich bisher gegenüber seinem Gastland immer weitgehend loyal gezeigt.

Russlands Telekommunikationsminister Nikolaj Nikiforow äußerte auf dem gleichen Kanal erfreut, Putin habe die Bedenken seiner Behörde berücksichtigt und beruhigte, 2016 kämen auf die russischen Bürger keine Gebührenerhöhungen zu. Von 2017 und 2018 schrieb er allerdings nichts – er selbst hatte vor Kurzem noch von einem drohenden Tarifsprung auf das Vierfache gesprochen: Denn, so berichtet fontanka.ru, die drei großen Mobilfunkanbieter Vimpelcom, MTS und Megafon müssten nun bis zum Stichtag 1. Juli 2018 Serverkapazitäten aufbauen, die 100.000 Mal umfangreicher sind als die bisherigen.

Jeder Schnappschuss für ein halbes Jahr ins Archiv

Momentan halten die Telefongesellschaften drei Monate lang fest, wer wen wann angerufen oder per SMS angefunkt hat. Das Jarowa-Paket erhöht – im Dienste der Staatssicherheit und Terrorbekämpfung, so heißt es, diese Frist auf drei Jahre. Diese Forderung tritt im Übrigen schon in weniger als zwei Wochen, am 20. Juli, in Kraft.

Besonders gigantische Datenfriedhöfe erfordert aber die neue Vorschrift, auch alle Kommunikationsinhalte, also Gespräche, Mails, Kurznachrichten, verschickte Bilder und sogar Videos, für sechs Monate zu archivieren – einzig für den Fall; es könnte irgendwelche Fahnder interessieren.

Ob das überhaupt in der Kürze der Zeit technisch zu leisten ist, bleibt dahingestellt – ebenso wie die Frage, ob diese Massendatenspeicherung irgendeinen sicherheitsrelevanten Nutzen bringt. Die Gesetzesinitiatoren hatten sich dazu wohl keine besonderen Gedanken gemacht, hatten sie in ihrem ersten Gesetzesentwurf doch mit lockerer Hand eine Speicherdauer von drei Jahren hineingeschrieben.

Russische Technik soll es richten – es gibt sie aber nicht

Rätselhaft ist momentan auch noch, wo die notwendige Speicherinfrastruktur eigentlich herkommen soll: Russische Hersteller haben bei Datenspeichern nur einen minimalen Marktanteil, so fontanka.ru. Die Umsetzung des Gesetzes würde also zu einem Riesengeschäft für die ausländische IT-Industrie.

Putin fordert prompt in seinen Aufträgen an die Regierung, man möge dort bis zum 1. September Vorschläge erarbeiten, wie schnell in Russland Produktionskapazitäten für die notwendigen Server und Programme eingerichtet werden könnten. Und außerdem sollen sich die Minister Gedanken machen, ob zu diesem Zweck nicht die Fristen der Implementierung der gesetzlichen Forderungen geändert werden müssten.

Das gibt etwas Hoffnung, dass nach den Duma-Wahlen und angesichts einer genaueren Aufwandsanalyse des ganzen Big-Brother-Projekts die Vernunft wieder Oberhand gewinnt – und das irrwitzige Jarowa-Paket auf realistische Anforderungen zusammengestutzt wird.

[Lothar Deeg/russland.NEWS]

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