Chodorkowski – Opfer der Politik?

Neun Jahre. So lange soll nach dem Willen der Moskauer Richter der ehemals reichste Russe, Michail Chodorkowski, wegen Steuerhinterziehung und anderer Delikte einsitzen.

Davon hat er allerdings schon eineinhalb Jahre hinter sich. Wenn er Glück hat und sich im Arbeitslager ein bisschen anstrengt, muss der frühere Chef des einmal viertgrößten Erdölunternehmens der Welt auch nicht die gesamte Zeit abbrummen.

Durch „Sonderzahlungen“ wird er sich zudem sein Gefangenen-Los sicher erleichtern können.

Mit dem Urteil, gegen das Chodorkowskis Anwälte Berufung eingelegt haben, geht der wohl spektakulärste Prozess im nachsowjetischen Russland zu Ende.

Von Anfang an wurde das Verfahren gegen den Herrscher über Yukos – vor allem im Ausland – als politisch motiviert abgestempelt. Der Milliardär habe für seine Aufmüpfigkeit gegen Präsident Putin büßen müssen, heißt es.

Ist der ehemalige sowjetische Jungfunktionär tatsächlich das Opfer von Willkür geworden?

Zunächst ist es immer und überall auch eine politische Maßnahme, wenn ein Staat die Nichteinhaltung seiner gesetzlichen Normen ahndet. Im Falle Chodorkowski wurde dies – vor allem von den westlichen Medien – zum quasi persönlichen Duell zwischen dem Präsidenten und der wirtschaftlichen Nummer Eins erklärt.

Die Verhaftung des Oligarchen gleich zu Beginn der Untersuchungen galt als Rache gegen seine angeblichen unbotmäßigen politischen Umtriebe. Dass aber die russische Justiz den Beteuerungen Chodorkowskis, im Lande bleiben zu wollen, eingedenk bitterer Erfahrungen in anderen Fällen, sehr skeptisch gegenüber stand und auf Nummer sicher ging, ist irgendwo verständlich.

Und natürlich waren die Anschuldigungen gegen Yukos und seinen Chef nicht aus der Luft gegriffen. Chodorkowski hatte skrupellos vor allem die „Wild-Ost-Jahre“ unter Ex-Präsident Jelzin und Ministerpräsident Gaidar unmitttelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion genutzt, um sich ein gigantisches Vermögen zusammenzurauben.

Auch später nahm er es mit den Abgaben an den Staat nicht so genau. Dies wurde allerdings durch ozeangroße Löcher in der Gesetzgebung begünstigt, die sich auch andere zunutze gemacht haben. Unter denen grassiert nun die Angst, ein ähnliches Schicksal zu erleiden. Denn wenn die russische Justiz beschlossen hat, die damalige „Steuerfreiheit“ mit heutigen Maßstäben zu messen, könnten durchaus weitere Verfahren ins Haus stehen.

Und dass für schwerwiegende Steuerhinterziehung mehrjährige Haft droht, ist international üblich. Auch das deutsche Strafgesetzbuch sieht dafür Freiheitsentzug bis zu zehn Jahren vor.

Eine andere Frage ist, dass die Methoden des Einsparens von Abgaben im Westen schon derart verfeinert sind, dass sie rechtlich kaum angreifbar sind. Vielmehr wird, wie in der Bundesrepublik, die Nichtzahlung von Steuern durch Kapitalwanderung ins Ausland, auch noch belohnt. Das ist ein weiterer Grund für die Verwunderung, wenn ein Staat versucht, seine Interessen – und damit die seiner Bürger – gegen diejenigen des Kapitals durchzusetzen.

Die Kaste der Oligarchen muss in Russland trotz des Chodorkowski-Prozesses nicht um ihre Existenz fürchten. Präsident Putin hat wiederholt erklärt, dass er keine grundsätzliche Umverteilung des Vermögens in der Gesellschaft anstrebt. Wer sich – zumindest weitgehend – an die geltenden Gesetze hält, kann sich sogar englische Fußballmannschaften leisten…

Mit ihrem unnachsichtigen Vorgehen in der Yukos-Affäre hat die russische Justiz sich selbst und der Gesellschaft neue Maßstäbe gesetzt.

So ist Chodorkowski nicht Opfer, sondern Zeuge der Umsetzung von Politik mit rechtlichen Mitteln. [Hartmut Hübner – Chefredakteur Wirtschaft/russland.RU]

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