Boris Kagarlitzki im Gespräch mit Kai Ehlers über die Vorgänge in der Ukraine

Das nach-sowjetische Trauma ist ja auch noch untrennbar verbunden mit antirussischen Emotionen. Das halte ich für eine sehr komplizierte Situation.

Ja, das ist so. Es gibt ein ganzes Bündel von Gründen, warum die Maidanproteste derart von den Rechten übernommen werden konnten. Der Hauptgrund ist die marginalisierte Bevölkerung im Westen der Ukraine. Das war die Basis für die Entwicklung der äußersten Rechten. Dazu kommt das Nicht-Vorhandensein einer organisierten Linken. So war die Rechte die einzige Kraft, die die jungen marginalisierten Menschen anziehen konnte.

Auf der anderen Seite gibt es die Mittelschichten der Stadt Kiew, die vollkommen abhängig sind von der Verteilung der Ressourcen des Landes, die im Kern aus der Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung in Süd-Ost stammen. Kiew produziert eigentlich nichts, was über Serviceleistungen hinausgeht.

Das sind die Gründe, warum die Proteste in Kiew von Anfang an sehr verwirrt waren. Sie waren von Anfang an sehr abgetrennt von der arbeitenden Bevölkerung des Süd-Ostens. Es waren nur kleine Teile der politisch aktiven Gesellschaft, die auf den Maidan kamen.  Das sind vielleicht 200.000 oder 300.000 Menschen, verstreut über das ganze Land. Sie sind ehrlich davon überzeugt, dass sie die Gesellschaft repräsentieren. Der Rest hat nichts zu sagen und hat auch kein Recht etwas zu sagen, spielt keine Rolle und wird nie eine Rolle spielen.

Dies sind die Menschen, die durch die Vorgänge politisiert wurden. Das sind vielleicht ein, möglicherweise drei oder auch fünf Prozent der Bevölkerung, aber sie stellen eben nur einen Bruchteil der Gesellschaft dar. – Übrigens hat ja man dieselbe Situation in Russland.

Du willst sagen, die Forderungen,  die anfänglich auf dem Maidan gestellt wurden, unterscheiden sich von  denen, die jetzt in den östlichen und südlichen Protesten laut werden?

Die Bewegung des Maidan hatte vor allem eine Forderung: Weg mit Janukowytsch, die Regierung von Janukowytsch durch andere Leute zu ersetzen. Das war vollkommen richtig. Es ging darum eine korrupte Regierung loszuwerden. Das Problem besteht darin, dass man statt einer Regierung der Diebe nun eine der Erpresser bekommen hat. Das alte Übel ist einfach durch ein neues, noch größeres Übel ausgetauscht worden.

Das ist geschieht, wenn die Forderungen nur negativ sind, wo es nur darum geht jemanden loszuwerden. Was dabei rauskommt ist, dass Du die Rechten  bekommst.  Aber man muss klar sagen:  Es ist nicht wahr, dass jetzt die Rechten allein an der Macht sind. Die Rechten sind ein Teil der neuen Macht.  Der Punkt ist, dass sie einen Deal mit den Faschisten gemacht haben. Und die Sache ist, dass die Faschisten durch die ganzen Vorgänge zurzeit stärker werden.

Schau dir zum Beispiel mal Videos aus Donezk an. Da siehst Du, wofür die Menschen da eintreten.  Sie verlangen eine Trennung von Staat und Geschäften. Sie verlangen die Verstaatlichung der Kohlenminen.  Sie protestieren gegen die Nicht-Auszahlung der Löhne, insgesamt gegen das ganze IWF-Paket, also das Ansteigen der Preise, die Monetarisierung der kommunalen Strukturen etc.  Wenn das aber trotz ihrer Forderungen alles so kommen sollte, sagen sie, dann müssen wir uns Russland anschließen, dann haben wir keine andere Wahl. 

Bemerkenswert ist, dass die Russen das überhaupt nicht wollen; Moskau kriegt Befürchtungen. Man will keine weiteren Ballastregionen, die man durchschleppen muss.  Mit der  Krim war das ganz anders. Da war alles unter Kontrolle der lokalen Elite. Und klar hat die örtliche Bevölkerung diese Elite unterstützt. Da gab es keine Rebellion von unten. Da gab es keine Mobilisierung der Massen, keine Partizipationsbewegungen. 

Auf der Krim gingen die Leute einfach auf die Straße. Da sahen sie die so genannten „Grünen Männer“ zusammen mit den örtlichen Polizeikräften. Da ist nichts umgestürzt worden. Da war hinterher die gleiche Verwaltungsmacht wie vorher. Das war ein einfacher Austausch der Eliten. Das war´s. Es sieht so aus als sei Moskau von Anfang an involviert gewesen. Aber das geschah nur, weil man auf die Ukrainischen Behörden Druck ausüben wollte, um  so eine Art Deal zustande zu bekommen, der die Ukrainischen Behörden etwas beruhigen könnte.

Auf dem Maidan aber doch auch soziale Forderungen gestellt.

Klar, es gab immer wieder soziale Forderungen. Aber jedes Mal wenn Menschen dafür aufgetreten sind, wurden sie weggeprügelt. Es ist wichtig zu wissen, dass die Menge auf dem Maidan diese Menschen nicht verteidigte, wenn die Rechten sie hinausdrängten.

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