Blick in die nahe Zukunft verheißt nichts Gutes

Mitte Januar, gleich nachdem Moskau aus den Neujahrsfeierlichkeiten erwacht ist, findet seit 2011 in der russischen Hauptstadt das Gaidar-Forum statt, ein internationales wissenschaftlich-praktisches Symposium zu Wirtschaftsfragen, benannt  nach dem 2009 verstorbenen Vordenker der russischen Wirtschaftsreformen der 1990er Jahre. In diesem Jahr steht die Veranstaltung vom 13. – 15. Januar unter dem Leitthema: Russland und die Welt: ein Blick in die Zukunft.

In diesem Sinne  versuchte denn gestern auch der russische Premier Dmitrij Medwedjew, Licht am Ende des Tunnels zu erblicken, das mal nicht von einem Gegenzug kommt. Aber auch er musste einräumen, dass die gegenwärtige Wirtschaftskrise im Land noch einige Jahre anhalten könne.

Das Problem sei, „dass ein Aufhalten des BIP-Rückgangs nicht automatisch den Übergang zu Wachstum bedeutet, statt dessen könnte eine lange Zeit des Schwankens um den Nullpunkt drohen, was nun wirklich nicht als dynamisch bezeichnet werden kann.“ Weiter machte der Regierungschef deutlich: „Wir schaffen jetzt faktisch ein neues Modell des Wirtschaftswachstums. Wir haben Regionen,  die ohne die Einnahmen aus dem Export der Energieträger leben können. Sie haben sich rechtzeitig und effektiv der Modernisierung der Produktionskapazitäten gewidmet, Investoren gefunden, neue Betriebe gebaut, die Produktion von Erzeugnissen mit hohem Mehrwert angekurbelt. Diese Beispiele müssen im ganzen Land Schule machen.“

Kein Vergleich mit der Krise von 1998 

Der Ministerpräsident der Russischen Föderation bezeichnete die Situation in der russischen Wirtschaft als kompliziert, aber beherrschbar.

„Uns gelang es in gewisser Weise den Einfluss der äußeren Schocks zu mildern, unter anderem durch  einen Antikrisenplan, in dem wir die Ressourcen auf die Unterstützung der am meisten verwundbaren Punkte, sowohl in der Wirtschaft, als auch in der sozialen Sphäre konzentriert haben“, erklärte Medwedjew. Nach seiner Meinung erinnere die jetzige Situation in der russischen Wirtschaft nicht an jene von1998. „Wir kommen nicht mal in die Nähe dessen, was damals in der Wirtschaft geschah“, sagte er.

„Die Krise hat uns allmählich von der Gewohnheit geheilt, uns hauptsächlich auf die Einkünfte aus den Kohlenwasserstoffen zu verlassen. Denn eine maximale Freiheit von den Rohstofferlösen ist auch eine Frage der geopolitischen Unabhängigkeit des Landes, und deshalb müssen wir darauf hinarbeiten, dass unser Angebot an den Weltmarkt interessanter und konkurrenzfähiger ist, als die Rohstoffe“, betonte der russische Premierminister.

Medwedew schloss nicht aus, dass sich das Land auf ein noch schlimmeres Szenario vorbereiten muss. Seinen Worten nach müsse im Falle eines weiteren Preissturzes bei Erdöl der Staatshaushalt „präzisiert“ werden. „Unsere angesammelten Reserven haben uns ermöglicht, den Föderationsetat für dieses Jahr ausgeglichen zu gestalten“, legte er dar. „Aber wenn die Preise für das Erdöl weiter fallen, muss das Budget angepasst werden“, warnte er.

Die Armut nahm zu, die Mittelschicht ab

„Vor dem neuen globalen Hintergrund haben sich unsere eigenen strukturellen Probleme verschärft – es fehlt an Wirtschaftswachstum und Exporteinkünften, nicht nur im Rohstoffsektor“ so Medwedew.

„Die Resonanz der Schwierigkeiten des Jahres 2015 hat zur Verringerung des Produktionsvolumens, der dem Rückgang der geschäftlichen und Investitions-Aktivität, aber vor allem der Verringerung der Realeinkommen der Bevölkerung geführt“, räumte Medwedjew ein. Der Regierungschef stellte  infolge der ökonomischen Probleme in Russland auch einen Rückgang  der Einkommen der Russen fest.  Am meisten habe die Mittelschicht gelitten, konstatierte er. Russland habe große Erfolge im Kampf gegen die Armut erreicht, weil es die Führung als ihre vorrangige Aufgabe begreife, in erster Linie für die Anhebung des Wohlstands der Bevölkerung zu arbeiten, manchmal sogar zum Nachteil der strukturellen Umgestaltungen, die niemals und nirgends schmerzlos für die Menschen“ ablaufen.

Medwedew verwies darauf, dass Russland in den vergangenen Jahren mit den Supereinkünften vom Erdölsektor die Gehälter und die Renten erhöhte, Krankenhäuser und Kindergärten baute.

„Dadurch haben wir jedoch die Modernisierung nicht in jenem Tempo durchgeführt, das ohne diese sozialen Ausgaben möglich gewesen wäre. In dieser ganzen Zeit wuchsen die Einkommen der Menschen schneller, als die Wirtschaft. Aber dafür haben wir im Endeffekt seit Anfang 2000 Jahre das Ausmaß der Armut halbiert“, betonte der Ministerpräsident. „Heute ist alles schwieriger, besonders ernst hat die Krise die sozial schwachen Bürger getroffen, die nur auf die Hilfe die Staaten hoffen können“.

Geopolitik beeinflusst immer mehr die Wirtschaft

Die ökonomischen Bedingungen würden immer härter von unterschiedlichen  geostrategischen Interessen diktiert. Die vereinbarten Regeln werden ignoriert oder aus „Konjunkturgründen“ außer Kraft gesetzt“, bedauerte der Kabinettschef. Als Beispiel führte er die Entscheidung des Internationalen Währungsfonds an, die zahlungsunfähige Ukraine weiter mit Krediten auszustatten.

Andererseits würden gegen Russland Wirtschaftssanktionen in einer radikalen Form verhängt, die auch das Ansehen der Marktinstitute, wie der WTO untergräbt.

Seinen Worten nach würden immer öfter politische Motive in die Sphäre des Wettbewerbs eingeflochten, zum Beispiel, bei der Einleitung der Strafsanktionen, hinter denen letztlich wirtschaftliche und politische Interessen eines einzelnen, wenn auch des größten Landes stehen.
(Hartmut Hübner/russland.ru)

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