Berliner Videodays enttäuschen Russland-YouTuber

Europas größtes YouTuber-Treffen ohne getroffene YouTuber

[von Roland Bathon] In zahlreichen Berichten von den großen deutschen Medien gehypt werden die Videodays, „Europas größtes YouTuber-Treffen“ [Eigendarstellung], die jährlich in Köln und Berlin stattfinden. Da wir ja die Berechtigung zur Registrierung beim Event als „YouTuber“ haben (verlangt werden mindestens 15.000 Abonnenten), wollten wir dieses Mega-Treffen an diesem Wochenende in Berlin einmal ausprobieren und erlebten eine Mega-Enttäuschung.

Tag der großen Erwartung

Uns war völlig klar, dass sich die Videodays vor allem eine junge Zielgruppe ansprechen, aber mit Julia (20, Moskau) und Ariana (14, Süddeutschland) haben wir ja zwei Mädels, die bei unserer Videoproduktion voll dabei sind und zu dieser Zielgruppe gehören. Also haben wir zu dritt die Reise nach Berlin (oder eigentlich Potsdam) angetreten, wo der Event in der Metropolishalle stattfand, die bis zu 5.000 Personen fasst. In der Vorbereitung klappte alles einwandfrei, wir wurden registriert und bekamen von unserem Netzwerk Mediakraft einen Kontaktmann, der uns vor Ort an allen Zuschauerschlagen vorbei „hinein bringen“ sollte.

Die Schlange der im Schnitt 14jährigen Teenie-Mädels (Jungs waren nur zu weniger als einem Viertel vertreten) am Haupteingang war zu Eventbeginn deutlich zu sehen. Kaum hatten wir sie von weitem erspäht, blaffte uns auch schon ein Securitymann an, uns gefälligst dort einzureihen, bevor wir uns überlegen konnten, ihn irgendetwas zu fragen. Auf meinen Anruf hin meldete sich aber prompt der Mediakraft-Kontaktmann und führte uns über einen Seiteneingang an der Schlange vorbei in den Innenraum, wo wir linker Hand auch ein von der Crew so genanntes „YouTuber-Zelt“ bemerkten, wo man dann vielleicht den einen oder anderen interessanten Videoproduzenten treffen könnte – dachten wir da noch in unserer Naivität.

YouTuber 2. Klasse ohne Zutritt

An einem Stand hinter diesem Bereich erhielten wir formschöne „YouTuber“-Umhängeausweise (siehe Foto) mit denen wir uns ins Getümmel stürzten. Wobei ein Getümmel noch nicht stattfand, da bisher nur gelangweilt Angestellte diverser Sponsoren an ihren Werbeständen herum hingen und die Teenies so langsam durch die Sicherheitskontrolle hinein tröpfelten. Viel war nicht zu sehen, denn zugänglich war außer dem Hallenfoyer nur noch eine kleine Freifläche mit Stehtischen und nicht einmal einem halben Dutzend solcher Stände, deren Angebot (von der Mode-Limo bis zur eher teuren Imbissbude) leider keinen von uns ansprach. Außer uns und den ersten Teenies fanden sich hier nur noch einige Fernsehteams großer TV-Anstalten, die wohl auf aktuell nicht vorhandene „Stars“ zum Interviewen warteten.

Nun ja, wir wollten ja keine Sponsoren oder TV-Journalisten kennenlernen, sondern andere YouTuber – also bewegten wir uns zum „YouTuber-Zelt“ und erlebten unsere erste Überraschung. Denn wir durften zum besagten Zelt gar nicht hin! Mit YouTuber-Ausweisen „unserer Farbe“ (so eine Art „YouTuber 2. Klasse“) durfte man in den ganzen Bereich nämlich nicht hinein, wie uns die Security am Einlass erklärte.  Bei der Ausweisausgabe für YouTuber erklärte uns wenig später eine etwas hochnäsig wirkende 20jährige Schönheit, dass es für YouTuber „wie uns“ keinen eigenen Bereich gäbe, da man hier das „Community-Feeling“ (!) stärken wolle – also quasi dadurch, dass die YouTuber (2. Klasse) beim Publikum bleiben – und die YouTuber (1. Klasse) davon schön getrennt.

Ein Tisch als echte Herausforderung

Zum Publikumsbereich bewegten wir uns dann also wieder mangels Alternative. Da die Stimmung dort noch mau war, obwohl es inzwischen mehr dorthin gelangte 14jährige Mädels gab (Julia: „Ich bin zu alt für das hier“ – Ariana „wo sind hier bitte bekannte YouTuber?“), beschlossen wir, noch etwas am Laptop zu arbeiten, denn unsere „Realtreffen“ sind bei russland.TV selten und kostbar – wir kommunizieren sonst nur per Skype und Messangerdiensten. Wir brauchten dazu nur einen Tisch und drei Stühle oder eine Bank. So etwas erspähten wir leider ebenfalls nirgendwo. Also zurück zu unserer YouTuber-Ansprechpartnerin. Die quittierte unsere Frage nach einem kleinen Platz mit Tisch sehr hilflos und fing an, hektisch mit irgendwelchen wichtigeren Leuten zu telefonieren, die natürlich nicht erreichbar waren. Denn dorthin, wo es sehr viele Tische gab (YouTuber-Zelt und offenbar noch irgendwo in der Halle) durfte sie uns nicht lassen und einen Presseraum gab es hier nicht.

Nach ergebnislosen Versuchen trug sie uns auf, Leute mit einem Anhänger „AAA“ (für Laien: „Access All Areas“ = Chefklasse bei Großevents) zu suchen und so jemanden nach einem Tisch zu fragen. Auf dem Raucherpausenhof der „Crew“ fanden wir wenig später sogar so jemanden und er wies uns auf ein paar Bierzelttische ganz an Ende des Geländes hin, die wir wegen ihrer Abgelegenheit übersehen hatten und uns dorthin zurück zogen. Als wir zurück kamen, standen dann auch zwei etwas größere YouTuber (Bereich ca. 200.000 Abos) vor der Halle herum, die eine umringt von den TV-Kamerateams, die sichtbar bemüht waren, nun einen „Gute-Laune-Bericht“ für das Vorabend-Programm zu produzieren. Die andere wäre uns fast nicht aufgefallen (und ist es den TV-Teams auch nicht), da sie selbst ein 14jähriges Teeniemädel war und sich perfekt in ihre Umgebung einfügte– aber Ariana als unsere gleichaltrige Szene-Kennerin entgeht bei nur etwas bekannten YouTubern keiner.

Ablenkungstour und Showtag

Da uns das alles nicht so recht befriedigte machten wir eine kleine Tour durch den benachbarten Babelsbeger Filmpark und kehrten zum Höhepunkt des an diesem Tag stattfindenden „Showtags“ zurück. Die Bühnenshow war denn auch von Sound und Beleuchtung erstklassig – hier merkte man die geballte Finanzpower von Veranstalter und Sponsoren. Die Liveacts, die wir erleben durften, waren von ihrer Qualität jedoch eher dürftig. Vorgetragen wurden während des von uns miterlebten Showteils praktisch nur Coverversionen bekannter Songs, von denen manche recht einfallsreich und manche auch etwas wackelig dargeboten wurden. Anders als bei YouTube hat man als Live-Musiker halt leider nur einen Versuch und hier trennte sich die Spreu vom Weizen, auch wenn Licht- und Soundmeister viel versuchten, auf bombastische Art das Feeling zu retten (siehe Foto).

Bei der Show fielen uns dann übrigens andere Menschen auf, die wie wir YouTuber 2. Klasse waren (erkennbar am Ausweis in der zu sehenden Farbe) und in den Zweier- bis Dreiergruppen über die Menge der anwesenden Teenager verteilt waren. Sie fielen schon einmal auf, da sie meistens altersmäßig etwas über dem restlichen Publikum lagen und ihnen die große Begeisterungsfähigkeit der anwesenden Teenies teilweise fehlte, aber eine sichtbare Kommunikation zwischen den angereisten Grüppchen stellten wir nicht fest. Julia wippte währenddessen etwas zur Musik, Ariana konnte mit den meisten Musikacts nichts anfangen. Recht schnell trugen wir uns dann doch mit dem Gedanken, den Event vorzeitig zu verlassen, da vor allem Julia und ich schon altersmäßig fehl am Platz waren wie alle Menschen über 20 außer der Crew, den „Stars“ und begleitenden Eltern. Das taten wir dann auch, da Ariana überzeugend schilderte, ebenfalls nicht bleiben  zu wollen.

Community-Day mit Absperrband

Den zweiten Tag („Community-Day“) besuchten Ariana und ich (Julia wollte nicht mehr) nur kurz der Vollständigkeit halber, um zu sehen, ob die Definition vom „Community-Feeling“ hier noch der vom ersten Tag entsprach. Sie tat es und wir hätten uns, wenn wir das gewollt hätten, ausschließlich in die Schlangen von Teenies einreihen können, um Selfies mit YouTubern zu schießen, die ein oft nicht einmal so viel größeres, aber viel jüngeres Publikum als wir hatten. Denn sonst gab es hier nichts zu sehen und natürlich durften wir niemand treffen ohne Schlange zu stehen.

Die Halle war fein säuberlich mit Trassierbändern in fünf Warteschlangen geteilt und andere Möglichkeiten zum Gespräch gab es nicht, außer zu einer kleinen Diskussion mit einem Security-Mann offenbar ohne Befugnisse. Nach dieser durfte ich zwischen dem ersten und zweiten Band immerhin ein paar Videoaufnahmen machen – beinahe hätte er noch das AAA-Team angerufen, ob das ein YouTuber 2. Klasse wirklich darf. Nachdem uns im Hinausgehen unsere noch ebenso „freundliche“ YouTuber-Betreuerin erklärte, mit der Parkmünze, um den benachbarten Parkplatz verlassen zu können, habe sie überhaupt nichts zu tun, verließen wir die Videodays und suchten uns unseren Parkmünzenverkäufer selber.

Für uns kein YouTuber-Treffen

Die Videodays sind kein YouTuber-Treffen. Zu dieser Meinung stehen wir, auch wenn Szene-Junkies oder Event-Vermarkter hier uns bestimmt widersprechen. Wenn sie das einmal waren, haben sie den Charakter inzwischen vollständig verloren. Eher ein Konzert mit besonders umfangreicher Selfiestunde. Ich maße mir an, das in meinem hohen Alter klipp und klar festzustellen, denn aus meinen jugendlichen Zeiten in der Computer- und Musikszene weiß ich sehr wohl, was gute Szenetreffen sind, wie man sie organisiert (inkl. eigener Erfahrung als Booker) und wie cool sie abgehen können. Julia als Frau im richtigen Alter für so ein Treffen war fast durchgängig extrem gelangweilt, selbst Ariana als YouTuberin im Zielgruppenalter des tatsächlichen Events war enttäuscht, wie wenig wir erlebt haben. Die Videodays sind weiterhin für einen Event deutlich unter 10.000 Personen völlig überreglementiert. Zugeschnitten ist das „Treffen“ nur auf solche, die ganz groß sein wollen und nur Teenies als Anhang haben, die außer in den 20 Selfie-Sekunden schön außer Reichweite bleiben sollen. Dieser Anhang war übrigens gar nicht so zahlreich, denn die 5.000er Metropolishalle war mitnichten  voll und die früheren Pläne zusätzlicher Videodays in Hamburg und München könnten nach unserer Meinung sogar einfach am fehlenden Publikumsinteresse gescheitert sein, auch wenn der Veranstalter „zu viel Stress“ als Grund angibt. YouTuber waren als reine Gäste wie wir sowieso selten.

Das einzige Rahmenprogramm für „Creator“, wie man YouTuber „inside“ nennt, war ein Workshop für Kanalbetreiber um die 1.000 Abonnenten – richtete sich also vom Niveau mehr oder weniger ebenfalls an YouTube-Anfänger, die im ähnlichen Alter sind, wie die Fans. Danach kommt eine riesige Lücke von Leuten bei YouTube, für die eigentlich fast nichts geboten ist und eine Handvoll halbbekannter „Stars“ – von den echt bekannten haben wir keine erspäht, aber vielleicht waren sie ja in der „verbotenen Zone“. Gehört man zur Lücke zwischen 1.000 und 100.000 Abos, fragt man sich bei Anwesenheit schon, wo hier der Hype ist oder herkommt, den deutsche Mainstream-Presseleute aus diesem Event heraus arbeiten. Aus einer erlebten „Community“ oder „Szene“ kommt er nicht. Auch bei der Behandlung durch die „Crew“ spürte man immer wieder, dass man hier nichts zählt, sondern höchstens als „Star“ zählen würde. Ausnehmen muss ich hier nur die beiden freundlichen älteren Damen am Pressestand-Eingang und ausgerechnet die Betreuung durch das von „Stars“ viel gescholtene Netzwerk Mediakraft, die genau das brachte, was sie sollte (den schnellen Weg hinein) – was man vom restlichen Event nicht behaupten kann.

Foto: (c) Roland Bathon, russland.NEWS, YouTuber-Ausweis (2. Klasse) des Events

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