Berlin wird gegenüber Russland eine abwartende Haltung einnehmen

Berlin wird gegenüber Russland eine abwartende Haltung einnehmen

Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, eine der Prioritäten ihres Landes für die sechsmonatige EU-Ratspräsidentschaft sei die Analyse der von Russland ausgehenden Bedrohungen. Schon der Wortlaut selbst (keine Konfrontation, sondern eine Analyse) zeigt, die nächsten sechs Monate, sofern nichts Außergewöhnliches und Unerwartetes passiert, werden keine Zeit schwerer Konfrontation zwischen dem Kreml und der EU sein. Ein „Tauwetter“ ist jedoch auch nicht zu erwarten.

Deutschland hat nach dem Rotationsprinzip seit dem 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Deshalb teilen deutsche Beamte jetzt verschiedenen EU-Strukturen mit, wie sie sich die Zukunft eines vereinten Europas in den nächsten sechs Monaten vorstellen. So sprach beispielsweise Außenminister Heiko Maas vor dem Europäischen Parlament. Kramp-Karrenbauer sprach vor europäischen Abgeordneten, auf einer Sitzung des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und des Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments.

Kramp-Karrenbauer erklärte, was sie mit einer Analyse der russischen Bedrohungen meint. „Es geht darum, wie wir Russland wahrnehmen, nicht nur im Hinblick auf die neuen militärischen Fähigkeiten, die es entwickelt …, sondern auch auf sein Verhalten“, so die Ministerin. Mit anderen Worten, Kramp-Karrenbauer bemüht sich zu verstehen, wie sehr man Russland fürchten sollte und was man von Russland erwarten oder nicht erwarten sollte.

Für die führenden EU-Länder, zu denen natürlich Deutschland gehört, sind solche Taktiken traditionell und vernünftig. In der Europäischen Union war es immer schwierig, einen allgemeinen Kurs gegenüber Russland zu entwickeln. Es gibt zu unterschiedliche politische und wirtschaftliche Beziehungen zwischen allen EU-Ländern zu Moskau, unterschiedliche historische Erinnerungen, Komplexe und Ressentiments.

Es ist viel einfacher zu analysieren und alles so zu lassen, wie es ist, als zu handeln. Um so mehr, als es nicht die EU-Länder selbst sind, die gegen Russland agieren wollen, sondern eine externe Kraft – die Vereinigten Staaten.

Das betonte erneut Robert O’Brien, der Berater des US-Präsidenten in Fragen der nationalen Sicherheit, der Anfang dieser Woche für drei Tage Paris besuchte. Erklärter Zweck seines Besuchs war die Teilnahme an den Feierlichkeiten zum Tag der Bastille. Gleichzeitig traf er aber auch mit nationalen Sicherheitsberatern der führenden EU-Länder zusammen und erinnerte sie daran, dass Donald Trump für die Wahl in sechs Monaten bestimmte Ansichten über Europa hat.

Der amerikanische Präsident hatte zuvor verstärkten Druck auf Deutschland angekündigt. Er will die Zahl der US-Truppen stark reduzieren. Bereits im Herbst werden 9.000 amerikanische Soldaten das Land verlassen. Insgesamt sind in Deutschland rund 34.000 US-Soldaten stationiert, Zivilpersonal nicht eingerechnet. Die Verringerung ihrer Zahl ist nicht nur ein Schlag gegen den Sektor der deutschen Wirtschaft, der mit der Aufrechterhaltung von Stützpunkten und Kontakten mit dem Pentagon verbunden ist. Es ist auch ein Schlag gegen das Prestige. Die USA degradieren Deutschland von seinem traditionellen Hauptverbündeten in Kontinentaleuropa zu einem bloßen Verbündeten. Wohin die Vereinigten Staaten ihren Schwerpunkt in Europa verlegen wollen, ist im Moment niemandem klar, aber der Hauptanwärter hier ist sicherlich Polen. Zumindest ein Teil des aus Deutschland abgezogenen amerikanischen Militärs wird dorthin gehen. Es stimmt, dass das Abkommen zwischen Russland und der NATO es nicht erlaubt, NATO-Truppen dauerhaft dort zu stationieren. Aber aus wie vielen Vereinbarungen hat sich Trump nicht kürzlich zurückgezogen?

Dies ist der richtige Zeitpunkt für die „Degradierung“ Deutschlands gekommen. Der Nachbar im Osten hat gerade seine Präsidentschaftswahlen abgeschlossen. Präsident Andrzej Duda, der die Annäherung Polens an die Vereinigten Staaten nachdrücklich befürwortet, wurde trotz zahlreicher anders lautender Vorhersagen wiedergewählt. Mit einem marginalen Vorsprung in der zweiten Runde schlug er den Warschauer Bürgermeister Rafal Tschaskowski, der sich dafür einsetzte, mehr Brüssel als Washington zuzuhören. Die EU verlor gegen die USA, der Abzug der amerikanischen Truppen verlor zum Nachteil von Deutschland.

Trump verspricht, seinen Zorn nur dann in Gnade von Trump zu verwandeln, wenn Berlin zwei völlig unmögliche Bedingungen erfüllt: den Rückzug aus dem Nord Stream 2-Projekt und eine drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Wahrscheinlich ist sich Trump selbst bewusst, dass die Deutschen seinen Bedingungen nicht zustimmen werden.  Es ist unrealistisch, das fast abgeschlossene Projekt zu stoppen und die Militärausgaben zu erhöhen, wenn Deutschland selbst sie zu reduzieren beabsichtigt.

Wie die Aussagen von O’Brien deutlich machen, glauben die USA daher eher, dass die Beziehungen zu Moskau ein Verhandlungschip im Spiel um eine Frage sein werden, an der die USA wirklich interessiert zu sein scheint – Druck auf China. Trump will das Eindringen chinesischer Unternehmen in die EU stoppen und hat bereits beachtliche Erfolge erzielt. Großbritannien hat für den Telekommunikationsriesen Huawei ein siebenjähriges Moratorium für 5G-Netze erlassen. Andere führende europäische Länder können davon überzeugt werden, dasselbe zu tun.

Deutschland wiederum muss nur abwarten – bis zu den US-Präsidentschaftswahlen im November. Nach der aktuellen Entwicklung der Situation zu urteilen, könnte Trump verlieren. Dann müssen die Beziehungen mit dem neuen US-Präsidenten neu aufgebaut werden.

Und in Bezug auf Russland ist die Position der EU seit langem zum Abwarten verdammt. Unabhängig davon, was einzelne Länder über die Veränderungen in der Europäischen Union sagen, ist die Spaltung zwischen Brüssel und Moskau keine momentane, sondern wertorientiert tief verankert. In den nächsten sechs Monaten wird sie eindeutig nicht verschwinden. Dies bedeutet, dass Deutschland als EU-Präsidentschaftsland nur die Möglichkeiten analysieren kann, einen konstruktiven Dialog mit Moskau aufzubauen.

[hrsg/russland.NEWS]

COMMENTS