Berlin: Sexueller Missbrauch als Pressekrieg

[von Roland Bathon] Es ist eine Geschichte die schlimm anfing und nicht besser weiter ging: ein 13jähriges russischstämmiges Mädchen aus Berlin-Marzahn wird als vermisst gemeldet. Nachdem es völlig zerrüttet wieder auftaucht, erzählt es eine furchtbare Geschichte von einer Entführung und mehrfachen Vergewaltigung.

Der russische „Angriff“

Das Schicksal dieses armen Mädchens tritt jedoch in unserer furchtbaren Geschichte recht schnell in den Hintergrund. Der russische TV-Sender Perwij Kanal greift sie auf. Der erhebliche Verdacht, dass hier etwas Schreckliches geschehen ist, wird zur Gewissheit erklärt, die deutsche Polizei der mangelhaften Aufklärung bezichtigt. Verwandte des Mädchens sind im Beitrag zu sehen und verständlicherweise geschockt und voller Vorwürfe an die Behörden.  Die Sache verbreitet sich online wie ein Lauffeuer – oder besser wird natürlich verbreitet, von besorgten Deutschrussen ebenso wie von ganz anders „besorgten“ Deutschen, die neues Material für ihre Anti-Flüchtlingskampagne vermuten. Aus den mutmaßlichen Tätern offensichtlich ausländischer Herkunft werden denn auch plötzlich irgendwie Flüchtlinge.

Der deutsche „Gegenangriff“

Das ruft natürlich die stets antirussisch und für Flüchtlinge gestimmte deutsche Mainstreampresse auf den Plan. Diese berichtet mittlerweile in einer Unmenge von Artikeln darüber, dass das Mädchen laut Polizei widersprüchlich ausgesagt habe. Es gäbe weder eine Entführung noch eine Vergewaltigung. Viele Berichte erwecken unterschwellig den Eindruck, die Geschichte seien Hirngespinste einer 13jährigen, die von einer bösen russischen Propagandapresse im Bund mit rechten Flüchtlingsfeinden augebauscht werde. Völlig vergessen wird von den sich richtig ereifernden Journalisten jedoch, dass sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft zur Stunde immer noch ermitteln und dass selbst ein freiwilliger Geschlechtsverkehr mit einer 13Jährigen für den Täter einen sexuellen Missbrauch darstellt – den die Polizei mitnichten ausgeschlossen hat. Dafür wurde umfangreich darüber berichtet, dass ein Anwalt aus Konstanz den berichtenden russischen Kollegen von der dunklen Seite der Macht wegen Volksverhetzung angezeigt habe.

Aufklärung erst durch den Opferanwalt

Dass sich die Eltern des Mädchens nun einen Anwalt nehmen, ist verständlich. Es handelt sich um Alexej Danckwardt aus Leipzig, selbst aus Russland stammend und für die Linkspartei aktiv, also über jeden Verdacht erhaben, der von Rechten anlässlich des Vorfalls angestoßenen Kampagne Vorschub leisten zu wollen. Erst sein Statement nach Rücksprache mit der Familie bringt etwas Licht ins Dunkel. Das Kind habe die Täter nie als Flüchtlinge bezeichnet und auch die Täterbeschreibung, die offenbar auf Männer mit Migrationshintergrund hinweist, sei nie als „Beschuldigung einer Gruppierung“ gemeint gewesen – immerhin sei das Mädchen selbst eine Migrantin aus Russland. Überhaupt sei die zwischenzeitlich eingetretene Politisierung der Sache nicht im Interesse des Opfers. Die Ermittlungsarbeit der Polizei nahm Danckwart ausdrücklich in Schutz, kritisierte jedoch scharf deren Pressearbeit, die zur Zerstörung der Glaubwürdigkeit seiner Mandantin beigetragen habe. So bekamen beide Seiten im Pressekrieg in Fett endlich weg.

Selbstkritik in Deutschland Fehlanzeige

Danckwardts Aussagen wurden daraufhin umfangreich in fünf russischen TV-Sendern gezeigt, so dass es hier eine Richtigstellung gab. Auch das ZDF bat Danckwardt zum Interview, kürzte dieses jedoch so stark, dass es nach Auskunft auf seiner Facebookseite „verzerrend“ zusammen geschnitten ist – wiederum so, dass seine Kritik an der Pressearbeit der Polizei weitgehend unterging und die Glaubwürdigkeit seiner Mandantin fortgesetzt in Frage gestellt wird. Es stellt sich hier in der Tat die Frage, ob Journalisten großer deutscher Medien in einem mutmaßlichen Missbrauchsfall mit anderer Konstellation hier ebenso einseitig zu Lasten des mutmaßlichen Opfers berichten und recherchieren würden. Es stellt sich weiter die Frage, wie wohl berichtet würde, wenn ein deutscher Journalist bei der russischen Staatsanwaltschaft wegen eines Beitrags über ein dortiges Geschehen wegen eines Delikts angezeigt werden würde, auf das im schlimmsten Fall Gefängnisstrafe in Russland steht.

Zweifelhaftes auf beiden Seiten – Selbstzweifel nur in Russland

Das alles soll nicht den ebenso einseitigen Ursprungsbeitrag aus Russland in Schutz nehmen, der in der Tat einen falschen Eindruck entstehen lassen kann. Es zeigt jedoch ein weiteres Mal, dass große deutsche Medien in ihrem Krieg gegen die russischen bei der Wahl ihrer Mittel mitnichten weniger Skrupel haben, als die vom Kreml finanzierten, die sie wegen Propaganda geifernd angreifen. Die Tatsache, dass die Richtigstellung Danckwardts nur in Russland vollständig zu sehen waren, wirft ein besonders düsteres Licht auf die Fähigkeit deutscher Journalisten zur Selbstkritik, die zumindest dem Wesen des Mainstream-Journalisten fremd zu sein scheint – von der Zerstörung der Würde und Glaubwürdigkeit eines 13jährigen Mädchens durch die Berichterstattung von ZDF und Spiegel zum Erreichen politischer Ziele einmal abgesehen. russland.TV wird selbst versuchen mit dem Opferanwalt Alexej Danckwardt Kontakt aufzunehmen und den Fall sachlich und unter Beachtung der Würde eines Mädchens, dem höchstwahrscheinlich etwas Furchtbares geschehen ist, zu schildern.

Foto: Hanno Böck, Creative Commons, da sie alle Mist sind, haben wir dieses weitgehend auf die Verlinkung der Artikel und Berichte beider Seiten zu dieser schlimmen Angelegenheit verzichtet; eine Internetrecherche erbringt sie sowohl in Deutschland als auch in Russland sehr schnell

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