Ausverkaufwoche in ganz Russland

Die letzte Woche war für Russlands Konsumenten chaotisch wie seit über 15 Jahren nicht. Geschäfte, die hochpreisige Waren anbieten, melden Ausverkauf. Die Rubelkrise schafft, was EU-Sanktionen nicht vermochten: Jetzt gibt es tatsächlich leere Regale – aber nur dort wo bisher teure Waren lagerten.

Kaufrausch zur Barauflösung

Als der Rubelverfall an Fahrt aufnahm, meldeten westliche Medien zuerst, es gäbe lange Schlangen an den Wechselstuben. Diese waren, falls vorhanden, nach unseren Beobachtungen eher von kürzerer Dauer. Dauerhafte Schlangen melden unsere Kontakte von Moskau bis zur hintere Provinz in verschiedenen Regionen woanders und über die ganze Woch – dort wo hochpreisige Waren wie Unterhaltungselektronik, Haushaltsgeräte, Autos oder Computer angeboten werden. Denn es gibt einen entscheidenden Unterschied zur Rubelkrise von 1998. Während damals Iwan Normalbürger vorher auch schon nichts hatte, gibt es jetzt einen großen Mittelstand mit Barvermögen. Irgendwann wurde dieser nervös. Doch die Dollar- und Europreise waren zu diesem Zeitpunkt schon in Höhen geklettert, zu denen viele nicht mehr tauschen wollten. An den offiziellen Wechselkursen vorbei wurden dann noch saftige Aufschläge verlangt.

Was dann tun mit der Barschaft – Millionen von Menschen kamen auf die gleiche Idee: Bevor der Wert des Vermögens zusammen schmilzt, kaufen wir uns lieber was davon. Irgendwas, was wir sowieso irgendwann wollten oder vielleicht auch was, was wir verpackt lassen und in der Not für viel mehr Geld wieder abstoßen können. Und so begann der wirklich große Run – nicht auf Wechselstuben, sondern auf die Geschäfte, die den Umsatz ihres Lebens zu machen  – allerdings um dann wiederum auch möglichst schnell die eingenommenen Rubel wieder los zu werden. In den Geschäften herrschten mehr und mehr chaotische Zustände. Eine Verkäuferin berichtete uns, dass man zweimal pro Tag neue Preisschilder schreibt – und die Leute kaufen trotzdem, als wenn es der letzte Öffnungstag wäre. Überstunden werden gemacht wie im größten Boom – aber nur, um nach dem heutigen Kurs wieder neu einzupreisen, bevor man morgen mit Verlust verkaufen muss.

Kreditkauf auf Zwangs-Out

War der Verkauf auf Kredit in den letzten Jahren en vogue, gab es gerade damit nun Probleme. Firmen verzögern die Ausgabe von Kreditverträgen, um dann einen oder zwei Tage später mit den höheren Zinsen ihr Geschäft vergrößern zu können. Am Ende dieser Woche sind in der Tat bis in die Provinz einige Geschäfte richtig leer. Es gibt Autohäuser ohne Autos – Computerhändler ohne Computer, vor allem in der Provinz, wo die Lieferwege lange sind. Geschäftsleute hocken auf Bergen von Geld, von dem sie hoffen, dass die nun eingetretene Pause im Rubelverfall dauerhaft ist und sie deshalb nächste Woche noch den gleichen Wert haben. Es fragt sich am Ende, warum in den westlichen Medien die eher kurzfristigen Wechselstuben-Schlangen so breiten Niederschlag in den Berichten fanden, der Ausverkauf der Geschäfte jedoch kaum. Hier muss man zwangsläufig vermuten, dass Schlangen nach Euros für das ungeliebte Russland dramatischer klingen, als ein riesiger Kaufrausch. Und unangenehmes berichtet man halt doch aus Moskau am liebsten – weiter in das flache Land kommen die Korrespondenten von ARD, ZDF und den üblichen Agenturen sowieso nicht. Umgekehrt versuchen natürlich auch die russischen Staatsmedien diesen Kaufrausch nicht an die große Glocke zu hängen – dafür ist er dann doch wieder zu unangenehm. Zeigt er doch, dass das Vertrauen der Normalbürger in die Krisenbekämpfung der Staatsführung so groß nicht ist.

Roland Bathon – russland.RU, Foto: (c) russland.TV 2014

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