Austausch erwünscht: Einladung zur Zusammenarbeit !

Internationale Tagungen zum TschernobylThema finden 20 Jahre nach der Katastrophe viele statt. Dennoch ist die, zu der die Stiftung WestÖstliche Begegnungen und das Internationale Bildungsund Begegnungswerk Dortmund vom 3. bis 6. Oktober nach Minsk einluden, eine besondere. Warum?

Es war die erste trilaterale Konferenz, die unter dem Thema „Von der Hilfe zu Partnerschaften Perspektiven und Zusammenarbeit 20 Jahre nach Tschernobyl“ in Minsk Organisationen aus Belarus, der Ukraine und Deutschland mit dem Schwerpunkt „Humanitäre Hilfe und soziale Projektarbeit“ zusammenbrachte. Sie ermöglichte Vertretern staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen der drei Länder, miteinander nationale, bilaterale und multinationale Möglichkeiten für gemeinsames Wirken zu diskutieren. Nicht zuletzt bot sie den meisten Partnerschaften erstmals die Gelegenheit, andere Gruppen kennen zu lernen und damit andere Modelle für Kooperationen von Bürgerinitiativen und nichtstaatlichen Organisationen (NRO) untereinander sowie mit Behörden und Politikern. Die Vertreter von Bürgerinitiativen, Vereinen, Schulen, Kirchgemeinden und Kinderheimen aus Deutschland und ihre Partnerorganisationen aus Belarus und der Ukraine setzen sich seit Jahren mit großem Engagement für die Linderung der Folgen der TschernobylKatastrophe ein. Bisher hatten sie jedoch wenig oder keine Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam mit Gleichgesinnten Ideen für eine Zusammenarbeit zu entwickeln.

Die Intensität, mit der die Beteiligten diesen Dialog führten und seine Fortsetzung wünschten, überraschte die Veranstalter. Gleichzeitig zeigt er den dringenden Gesprächsbedarf, der insbesondere auch für die Arbeit von Stiftungen in der Ukraine und in Belarus Aufmerksamkeit verdient. Künftig sollten auch russische Partner zu solchen Treffen eingeladen werden.

Das Thema „Von der Hilfe zur Partnerschaft“ berührte wesentliche Fragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit: Wie können Kindererholungsaufenthalte, Ferienlager, Krankenbetreuungen und Workcamps mit bisher ausschließlich karitativem Ansatz eine stärkere partnerschaftliche Ausrichtung erhalten? Welche Einschränkungen sind dabei im Blick auf strahlungsbelastete Gebiete zu berücksichtigen? Wie kann ein breites gesellschaftliches Umfeld gewonnen und wie können die Projekte finanziell stabilisiert und damit langfristig gesichert werden? Welche Formen der Kooperation von Bürgerinitiativen untereinander – national und international, mit Bildungseinrichtungen und Forschungsinstituten sowie mit staatlichen Behörden und Politikern können dabei helfen?

Erste Antworten auf diese und weitere Fragen wurden im „Open Space“ gefunden. Diese besonders kommunikative und aktive Form kam dem Wunsch der Teilnehmer nach Austausch entgegen. Hier entstanden im tatsächlich „Offenen Raum“ Gespräche, Ideen für Projekte und Zusammenarbeiten sowie erste praktische Schritte zu ihrer Umsetzung. Für die Stiftung WestÖstliche Begegnungen ist die Nachhaltigkeit humanitärer Maßnahmen von besonderer Bedeutung. Sie fördert seit Jahren Erholungsaufenthalte für Kinder aus strahlungsbelasteten Gebieten in Deutschland, in nicht verstrahlten Regionen in Belarus und anderen GUSLändern.

In den zwölf Jahren ihres Bestehens hat die Stiftung mehrere Hundert Projekte mit Bezug zu Tschernobyl gefördert. Die Tagung gab der Stiftung die Möglichkeit, mit den über viele Jahre geförderten Vereinen und Aktivitäten näher in Kontakt zu kommen und gemeinsam zu überlegen, wie Projekte im humanitären und sozialen Bereich nachhaltiger gestaltet und unterstützt werden können, so dass karitativen „Patenschaften“ zu Partnerschaften werden können. Die Teilnehmer der Tagung brachten ihre Sorge zum Ausdruck, dass eine Erhöhung der Visumsgebühren und weitere Erschwernisse in der Visumserteilung, die auf deutscher Seite erwogen werden, zu massiven Behinderungen im Jugendaustausch und bei der Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Aktivitäten und Organisationen in den Partnerländern führen würden. Sie hoffen deshalb, dass es bei den kostenlosen Visa für Kinderreisen nach Deutschland bleibt, die Gebühren nicht erhöht werden und gemeinnützige deutsche Vereine weiterhin Einladungen aussprechen dürfen.

Der Abgeordnete des Ukrainischen Parlaments und Präsident der Assoziation der Kulturvereinigungen der Ukraine, Alexander Feldmann, schlug vor, die nächste multilaterale NROKonferenz über Fragen der nachhaltigen Entwicklung in und um die TschernobylZone und angrenzender Regionen in Kiew oder Charkov durchzuführen. Die Vertreter deutscher Vereine und Aktivitäten und die Stiftung WestÖstliche Begegnungen regten an, in Deutschland ein Fachtreffen zur Erweiterung von Projektarbeit im humanitären und sozialen Bereich durch Bildungsund ökologische Inhalte durchzuführen.

Der deutsche Botschafter, Herr Dr. Martin Hecker, der Vizepräsident der Nationalversammlung der Republik Belarus, Herr Sergej Sabolotetz, und weitere belarussische und ukrainische Parlamentsabgeordnete sowie der ehemalige Leiter der OSZEMission in Minsk, Botschafter a. D. Herr Dr. Eberhard Heyken, beschrieben die politischen Beziehungen zwischen den Ländern, staatliches Handeln im Blick auf die Rahmenbedingungen für Bürgerengagement und die Bedeutung nichtstaatlicher Organisationen. Sie betonten, dass bei den zwischen Deutschland und Belarus seit zehn Jahren stagnierenden offiziellen Beziehungen den zivilgesellschaftlichen Aktivitäten und dem Engagement der Bürger als Volksdiplomatie besondere Bedeutung zukommt.

In den Arbeitsgruppen „Humanitäre Hilfe und soziale Projektarbeit“, „Umweltprojekte“ und „Bildung und internationale Begegnungen“, für die sich mit der „Gemeinde der Freude für alle Trauernden“, der Internationalen SacharowUmweltuniversität und dem Institut für Berufliche Weiterbildung kompetente Einrichtungen in Minsk als Gastgeber zur Verfügung stellten, wurden konkrete Aktivitäten diskutiert. Besonders wertvoll für die Tagung war die Anwesenheit des belorussischen AtomenergieExperten Prof. Wassilij Nesterenko. Mit seinem unabhängigen Institut für Strahlensicherheit BELRAD hilft er den Kindern, die in Regionen nahe der Sperrzonen langfristig unvermeidbar einer radioaktiven Umweltbelastung ausgesetzt sind, ihre individuelle Strahlenbelastung zu kontrollieren und durch einfache aber wirksame Maßnahmen zu verringern. Eine besonders nachhaltige Projektarbeit leisten deutsche Schulen, die im Rahmen ihrer Partnerschaften Messstellen an belarussischen Schulen betreiben und unterstützen. Für alle Teilnehmer war es ein Erlebnis, Gast im avantgardistischen Gebäude der Internationalen Bildungs und Begegnungsstätte „Johannes Rau“ zu sein. Sie bedanken sich beim Minsker IBBTeam, in Minsk, das seiner Gastgeberrolle in hervorragender Weise gerecht wurde und wesentlich dazu beitrug, das Haus zu einer gastlichen Heimstatt für unsere Grenzen überschreitende trilaterale Tagung zu machen. Seit zwölf Jahren ist das IBB ein Ort des Austauschs und der Begegnung zwischen Belarus und Deutschland, getragen vom Gedanken der Versöhnung nach zwei, von Deutschland ausgehenden zerstörerischen Kriegen.

Wichtige Kooperationspartner der Veranstalter waren die FriedrichEbertund die KonradAdenauerStiftung sowie das „DeutschUkrainische Netz Nichtstaatlicher Organisationen“ aus Kiew. Beide Stiftungen trugen nicht nur finanziell, sondern auch durch inhaltliche Beiträge zum Gelingen bei. Vor der Tagung hatten 30 deutsche Teilnehmer Gelegenheit, sich von der Arbeit des Bündener Vereins „Heim statt Tschernobyl“ zu überzeugen. Er baut in Drushnaja in der nördlichen Region Narotsch mit und für junge Familien aus der „Zone“ ökologische Häuser. Damit setzt er seit 1991 ein Zeichen gegen Tschernobyl und atomare Energienutzung.

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