Appell ehemaliger deutscher Generäle und Botschafter

Appell ehemaliger deutscher Generäle und Botschafter

Raus aus der Eskalationsspirale! Für einen Neuanfang im Verhältnis zu Russland

Mit größter Sorge beobachten wir die Eskalation im Verhältnis zu Russland, die sich erneut verschärft. Uns droht eine Situation, in der ein Krieg möglich ist. Diese Situation kann niemandem nützen und liegt weder in unserem noch in Russlands Interesse. Deshalb müssen wir jetzt alles tun, um die Spirale der Eskalation zu durchbrechen.

Ziel muss es sein, Russland und die NATO wieder aus dem Konfrontationskurs herauszuführen. Notwendig ist eine glaubwürdige Russlandpolitik der NATO und der EU, die nicht naiv oder gutgläubig, sondern interessengeleitet und konsequent ist. Jetzt ist eine nüchterne Realpolitik gefragt. Eines steht fest: Russlands Drohgebärden gegenüber der Ukraine und die Geste gegenüber den NATO-Staaten bei Übungen und insbesondere durch Aktivitäten der Nuklearstreitkräfte sind inakzeptabel.

Dennoch: Empörung und formelhafte Verurteilungen bringen uns nicht weiter. Eine einseitig auf Konfrontation und Abschreckung basierende Politik ist erfolglos. Wirtschaftlicher Druck und die Verschärfung von Sanktionen haben – wie die Erfahrung der letzten Jahre zeigt – Russland nicht zur Umkehr bewegen können.

Vielmehr sieht sich Russland durch die westliche Politik herausgefordert und versucht, durch aggressives Verhalten als Großmacht auf Augenhöhe mit den USA anerkannt zu werden und seine Einflusssphäre im postsowjetischen Raum zu wahren. Dies erhöht die Gefahren für die russische Wirtschaft (Ausschluss aus dem SWIFT-System) und eine Destabilisierung der Sicherheitslage insbesondere in Europa.

All dies darf seitens des Westens nicht als Entschuldigung für Untätigkeit oder die Akzeptanz der Verschärfung der Eskalation verstanden werden. Die NATO sollte aktiv auf Russland zugehen und auf eine Deeskalation der Lage hinwirken. Zu diesem Zweck sollte ein Treffen ohne Vorbedingungen auf höchster Ebene nicht ausgeschlossen werden. Wir brauchen im Grunde einen vierfachen politischen Ansatz:

Erstens: Eine hochrangige Konferenz, die auf der Grundlage der fortbestehenden Gültigkeit der Schlussakte von Helsinki 1975, der Charta von Paris 1990 und der Budapester Vereinbarung von 1994, aber ohne Vorbedingungen und in verschiedenen Formaten und auf verschiedenen Ebenen, über das Ziel der Neubelebung der europäischen Sicherheitsarchitektur berät.

Zweitens: Solange diese Konferenz tagt – und dafür wäre realistischerweise ein Zeitraum von mindestens zwei Jahren anzusetzen – sollte es auf beiden Seiten keine militärische Eskalation geben. Es sollte vereinbart werden, dass es keine Stationierung zusätzlicher Truppen und den Aufbau von Infrastruktur auf beiden Seiten der Grenze Russlands zu ihren westlichen Nachbarn geben sollte, ebenso wie volle gegenseitige Transparenz bei Militärmanövern. Darüber hinaus müssen die technischen Dialoge auf militärischer Ebene wiederbelebt werden, um Risiken zu minimieren.

Drittens: Der NATO-Russland-Dialog sollte politisch und militärisch ohne Bedingungen wiederbelebt werden. Dazu gehört auch ein neues Konzept für die europäische Rüstungskontrolle. Nach dem Wegfall wesentlicher Abkommen für die Sicherheit Europas (INF-Vertrag, KSE-Vertrag, Vertrag über den Offenen Himmel) ist es angesichts der russischen Truppenkonzentrationen an der Grenze zur Ukraine dringend geboten, durch verstärkte Kontakte auf politischer und militärischer Ebene gezielte Maßnahmen zur Schaffung von mehr Transparenz und zur Förderung des Vertrauens sowie zur Stabilisierung regionaler Konfliktlagen zu ergreifen.

Viertens: Trotz der aktuellen Situation sollte es weitergehende Angebote für wirtschaftliche Zusammenarbeit geben. Der Bedeutungsverlust Der Rückgang der Bedeutung fossiler Brennstoffe, von deren Export die russische Wirtschaft stark abhängig ist, birgt die Gefahr wachsender wirtschaftlicher Risiken für Russland, die wiederum zu politischer Instabilität führen könnten. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit könnte einen wichtigen Beitrag zur europäischen Stabilität leisten und auch ein Anreiz für Russland sein, zu einer kooperativen Politik gegenüber dem Westen zurückzukehren.

Um die derzeitige Blockade zu überwinden, müssen daher Win-Win-Situationen geschaffen werden. Dazu gehört die Anerkennung der Sicherheitsinteressen beider Seiten. In diesem Sinne sollte für die Dauer der Konferenz ein Einfrieren der Fragen der künftigen Mitgliedschaft in NATO, EU und OVKS vereinbart werden. Dies würde keinen Verzicht auf die Einhaltung der in der OSZE vereinbarten grundlegenden Standards bedeuten.

Das mag vielen nicht leichtfallen und es mag nicht der reinen Lehre entsprechen. Aber jede Alternative ist deutlich schlechter. Deutschland kommt hier eine Schlüsselrolle zu. Deutschland sollte alles unterlassen, was seine feste Verankerung im transatlantischen Bündnis schwächen könnte, sollte auf Deeskalation hinwirken und auf Vereinbarungen drängen, die den Einsatz militärischer Mittel in Europa über die Bündnisverteidigung hinaus ausschließen. Dies sollte nicht als Aufforderung an Russland missverstanden werden, den territorialen Status quo in Europa zu verändern, aber es gibt keine militärische Lösung der Ukraine-Krise, die nicht zu einer unkontrollierbaren Eskalation führt.

Botschafter a.D. Ulrich Brandenburg, deutscher Botschafter bei der NATO (2007-2010) und Russland (2010-2014); Prof. Dr. Michael Brzoska, Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (2006-2016); Brigadegeneral a.D. Helmut Ganser, Abteilungsleiter Militärpolitik der deutschen NATO-Mission in Brüssel (2004-2008); Botschafter (im Ruhestand); Hans-Dieter Heumann, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (2011-2015); Botschafter a.D. Hellmut Hoffmann, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der Genfer Abrüstungskonferenz (2009-2013); Prof. Dr. Jörn Happel, Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr, Hamburg; Botschafter a.D. Heiner Horsten, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der OSZE in Wien (2008-2012); Prof. Dr. Heinz-Gerhard Justenhoven, Direktor des Instituts für Theologie und Frieden; Stephan Klaus, Sprecher des jungen APS; Generalleutnant a.D. Dr. Ulf von Krause, Kommandant des Kommandos Unterstützung der Bundeswehr (2001-2005); Botschafter a.D. Rüdiger Lüdeking, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der OSZE in Wien (2012-2015); Prof. Dr. Gerhard Mangott, Universität Innsbruck; General a.D. Klaus Naumann, Generalinspekteur der Bundeswehr (1991-1996) und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses (1996-1999); Roger Näbig, Blog Konflikte und Sicherheit; Prof. Dr. Götz Neuneck, Stellvertretender Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (2009-2019); Jessica Nies, Sprecherin des Young APS; Oberst a.D. Harry Preetz, Landesvorsitzender Bereich I der Gesellschaft für Sicherheitspolitik; Oberst Richard Rohde, Leiter der Sektion Bonn der Gesellschaft für Sicherheitspolitik; Brigadegeneral a.D. D. Reiner Schwalb, Verteidigungsattaché der Deutschen Botschaft in Moskau (2011-2018); Prof. Dr. Michael Staack, Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr, Hamburg; Brigadegeneral a.D. D. Armin Staigis, Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (2013-1015); Prof. Dr. Johannes Varwick, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; Dr. Wolfgang Zellner, Stellvertretender Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (2009-2019), Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (2013-1015).

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