Alter Hut: Wie US-Strategen im russischen Wahljahr 1996 agierten

Ein Blick in die Geschichte lohnt fast immer. Die breit gefächerte Einmischung in ausländische Wahlkämpfe ist nichts Neues. Der amerikanische Politologe Dov H. Levin hat in seiner Doktorarbeit Russen und Amerikanern im Zeitraum von 1946 bis 2000 in 117 Fällen Wahleinmischung nachgewiesen, davon kamen 81 aus den USA.

Das Störfeuer aus Falschmeldungen, Unterstellungen und Übertreibungen zur Beeinflussung von ausländischen Wahlen ist also ein alter Hut und kein neues Kind des Internetzeitalters.

Besonders dreist gingen die Amerikaner bei der Wiederwahl von Boris Jelzin im Jahre 1996 vor. Als im Februar Jelzins Popularität laut Umfragen auf fünf Prozent abgesunken war, trafen sich sechs US-Experten mit dem Wahlkampfmanager Jelzins. Zusammen mit dessen Tochter, Tatjana Djatschenko, und einem riesigen Etat konnten sie das Ruder herumreißen. Jelzin erschien den russischen Wählern als „entrückt, korrupt und schuldig am Zusammenbruch der Volkswirtschaft“, wie seinerzeit der Spiegel berichtete.  Gegenkandidat Gennadij Sjuganow stand kurz vor einem historischen Sieg. Die Amerikaner erkannten, dass die russischen Wähler nichts mehr fürchteten als Unruhen und Klassenkampf.

Darauf empfahlen sie, als zentrale Botschaft die Gefahr einer Wiederkehr des Kommunismus, womöglich sogar eines Bürgerkriegs zu beschwören – mit Fernsehspots von Käuferschlangen, Warenmangel und erneut drohender Verstaatlichung. Die vom Staat kontrollierten Medien brachten in der letzten Woche vor der Stichwahl 114 positive Beiträge zu Jelzin, begleitet von 158 kritischen zu Sjuganow. Die verdeckten Manipulationen der US-Berater brachten den erhofften Erfolg. Jelzin gewann den ersten Wahlgang im Juni mit gut drei Prozent vor dem Chef der Kommunisten – bei der Stichwahl siegte der Amtsinhaber Jelzin mit fast 54 Prozent vor Sjuganow, für den gut 40 Prozent der Wähler stimmten.

Das alles scheint in Vergessenheit geraten zu sein, wenn man sich die aktuelle Debatte um Wahlbeeinflussung aus Russland ansieht. Theo Sommer, ehemals Chefredakteur und Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit, hält „die ganze Aufregung für maßlos überzogen“ und fordert „mehr Vertrauen in die Vernunft der Wähler“.

[hub/russland.NEWS]

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